Tony Mendez 02 - Eine verräterische Spur
herum, mit dem die Infusionsnadel in ihrem Arm befestigt war, dann schaute sie wieder zu Anne hoch. »Wo ist meine Mommy?«
Anne schnürte es fast das Herz ab. Sie hatte beschlossen, Haleys Fragen wenigstens in groben Zügen zu beantworten, auch wenn ihr das nicht leichtfiel. Ihr unumwunden zu erklären, dass sie ihre Mutter nie wiedersehen würde, brachte nichts, zumal sie sich unter all den Fremden ohnehin schon einsam und verängstigt fühlte.
»Deine Mommy wurde auch verletzt.«
Anne hielt die Luft an, wartete auf die nächste Frage. Kann ich sie sehen? Wo ist sie?
Aber Haley Fordham fragte nicht. Sie saß still da und dachte mit gerunzelter Stirn nach. Als sie wieder zu Anne aufblickte, waren offenbar andere Dinge vordringlich.
»Mein Hals tut weh. Kann ich Wackelpudding haben?«
»Ich werde mal fragen«, sagte Franny. »Aber ich bin sicher, dass du welchen kriegst. Der Wackelpudding hier ist sehr gut. Stimmt doch, Anne, oder?«
»Ein ausgezeichneter Wackelpudding.«
Franny trat gerade auf den Flur, als Vince aus dem Aufzug kam, in den Händen zwei schwere Taschen. Er begrüßte den Freund seiner Frau und ging dann weiter in das Zimmer.
»Hallo, ihr beiden«, sagte er.
Haley sah zu ihm auf. »Bist du der Daddy?«
»Ich bin Vince«, sagte er und ging vor ihr in die Hocke. »Und du bist Haley. Ich habe dir etwas mitgebracht, worüber du dich bestimmt freuen wirst.«
Er zog aus einer der beiden Taschen einen abgewetzten Samthasen mit Schlappohren.
Das Gesicht des Mädchens hellte sich augenblicklich auf. »Mein Honey-Bunny!«
Vince gab ihr das Stofftier und sah Anne an. »Hat sie etwas gesagt?«
»Sie erinnert sich nicht, was passiert ist.«
»Hast du sie gefragt …«
»Ich werde sie nicht drängen.«
»Ich weiß. Ich weiß. Ich hatte gehofft, dass sie selbst davon anfängt.«
»Nein, leider nicht. Keinen Pieps«, sagte sie, während er die Taschen auf einen der Stühle stellte und sich einen Keks von dem Tablett nahm. »Wirst du Schwierigkeiten kriegen, weil du Beweismittel von einem Tatort entfernt hast?«
»Die Tatortermittler haben alles mitgenommen, von dem sie glauben, es könnte von Bedeutung sein. Der Hase scheint glücklicherweise nicht unter Verdacht zu stehen«, sagte er und deutete mit dem Kopf zu Haley, die sich mit ihrem alten Freund im Arm zusammengerollt und den Daumen in den Mund gesteckt hatte. Sie sah müde aus.
»Ist sie nicht süß?«, sagte Anne. »Sie tut mir furchtbar leid.
Ich war dreiundzwanzig, als meine Mutter starb, es war ein furchtbarer Schlag für mich, aber ich habe wenigstens jede Menge Erinnerungen an sie. Sie war auch bei allen wichtigen Ereignissen in meinem Leben dabei: mein erster Schultag, die Pfadfinderinnen, die Schultheateraufführungen, mein erster Freund, der erste Liebeskummer, der Wechsel ins College.
Haley wird das alles nicht haben. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es ist, wenn man so klein und verletzlich ist und niemanden mehr hat.«
Vince legte den Arm um ihre Schulter und küsste sie auf den Scheitel. »Sie hat dich.«
»Fürs Erste.«
Anne seufzte tief und lehnte sich gegen ihren Mann, der sie festhielt. Sie beobachtete, wie dem kleinen Mädchen die Augen mit den unglaublich langen Wimpern zufielen. Ihr wurde klar, dass sie in kürzester Zeit eine innige Beziehung zu Haley Fordham entwickelt hatte. Sie würde aufpassen müssen, dass sie sich nicht zu sehr an sie band. Ihre Wege hatten sich aus einem bestimmten Grund gekreuzt und würden bald wieder auseinanderführen.
Aber schon jetzt fürchtete sie sich vor diesem Tag.
Ein Deputy kam an die Tür und klopfte zögernd gegen die Scheibe.
»Mr Leone? Ich habe eine Nachricht von Detective Mendez. Er lässt Ihnen ausrichten, sie hätten die Brüste gefunden.«
28
Die beiden Fleischklumpen in der Schachtel sahen Brüsten nicht mehr ähnlich. Die Haut war schwarz und glänzte schleimig, und stellenweise hatte sie sich zurückgezogen. Die Brustwarzen waren geschrumpft und hart wie alte Rosinen. Das Fettgewebe war gallertartig. Der Gestank war bestialisch.
»Das hat der Postbote gebracht?«, fragte Mendez. »Was zum Teufel dachte der, was da drin ist? Ein verfaulter Fisch?«
Milo Bordain würgte es. Sie kauerte auf einer Korbbank auf der Veranda ihres riesigen Ranchhauses. Nachdem sie sich zwischen den Rosenbüschen übergeben hatte, hatte sie viel von ihrer vornehmen Haltung eingebüßt.
Ihr Gesicht war bleich und wächsern, und obwohl die Sonne bereits hinter den Bergen
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