Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tore in der Wüste

Tore in der Wüste

Titel: Tore in der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
Vom Netzwerk:
hervorragend. Auch die Zigarette, die ich mir anzündete, schmeckte merkwürdig, was ich zuerst auf den Nachgeschmack des Bieres schob. Wenige Augenblicke später gingen mir jedoch einige halb ausgegorene Gedanken durch den Kopf; ich rief den Barkeeper und ließ mir ein Glas Bourbon bringen.
    Er hatte einen reichen, rauchigen Geschmack, überhaupt nicht vergleichbar mit dem, was ich sonst immer aus Flaschen mit diesem Etikett zu trinken bekam. Von Flaschen mit anderen Etiketts ganz zu schweigen.
    Plötzlich fielen mir wieder einige Details aus Organische Chemie I und II ein. Meine sämtlichen Aminosäuren, mit Ausnahme von Glycin, waren linksdrehend gewesen, entsprechend der Symmetrie meiner Proteinhelix. Dasselbe galt für die Nukleotiden, die die Windungen der Nukleinsäuren verursachten. Aber das war natürlich vor meiner Umwandlung gewesen. All meine Gedanken kreisten plötzlich um Stereoisomere und um den Nahrungskreislauf. Es ist nämlich so: Manchmal akzeptiert der Körper rechtsdrehende Substanzen, lehnt aber die linksdrehenden Komponenten ab, manchmal ist es umgekehrt. Manchmal werden auch beide Komponenten angenommen, aber dann dauert der Verdauungsprozeß bei einer Variante länger. Ich bemühte mich, mich an spezielle Beispiele zu erinnern. Mein Bier enthielt Äthylalkohol, C 2 H 5 OH … In Ordnung, dieses Molekül war symmetrisch. Das zentrale Kohlenstoffatom war mit zwei Wasserstoffatomen verbunden. Umgewandelt oder nicht, ich würde in beiden Fällen einen Rausch davon bekommen. Warum hatte dann alles einen anderen Geschmack? Die Aromastoffe, ja. Bei ihnen handelte es sich um asymmetrische Ester, die nun meine Geschmacksnerven ganz anders anregten. Und auch mein olfaktorischer Apparat mußte sich ab sofort mit ‚umgekehrtem’ Zigarettenrauch befassen. Ich würde zu Hause als erstes einmal ein paar wesentliche Dinge nachschlagen müssen. Da ich nicht wußte, wie lange meine Existenz als Spiegelmensch dauern würde, wollte ich mich auf keinen Fall der Gefahr einer Vergiftung aussetzen, wenn sie bestand.
    Ich trank das Bier aus. Im Verlauf der sehr langen Busfahrt konnte ich mich näher mit diesem Phänomen auseinandersetzen. In der Zwischenzeit schien es mir angebracht, noch ein wenig umherzupromenieren und aufzupassen, ob ich verfolgt wurde. Ich lief die nächsten fünfzehn bis zwanzig Minuten kreuz und quer hin und her, konnte aber keinen Verfolger aufspüren.
    Dann ging ich zurück zur Bushaltestelle, um meinen Stereoisobus nach Hause zu nehmen.
    Schläfrig mit dem Bus durch die weite Landschaft tuckernd, ließ ich meine Gedanken durch die Straßen meines Verstandes paradieren, stocherte gelegentlich auch einmal in älteren Erinnerungen und lauschte dem Pochen der Narrentrommeln in meinen Schläfen. Ich hatte die mir übertragene Aufgabe erledigt. Aber von wem war sie mir übertragen worden? Nun, der Betreffende hatte gesagt, er sei eine Aufzeichnung, aber er hatte mich mit dem Wissen um Artikel 7224, Absatz C versorgt, als ich es benötigt hatte – und jeder, der mir in der Not beisteht, gehört automatisch zu den Guten, bis er sich eindeutig zu erkennen gibt. Ich fragte mich, ob ich mich für unseren nächsten Kontakt wieder betrinken sollte, oder ob er dieses Mal etwas anderes mit mir vorhatte. Denn selbstverständlich mußte es einen weiteren Kontakt geben. Er hatte deutlich gemacht, daß meine Zusammenarbeit in dieser Frage zu einer Klärung der gegenwärtigen Situation führen würde. Also gut, das hatte ich ihm abgekauft. Ich hatte meine Umkehrung nur auf sein Wort hin in gutem Glauben durchgeführt. Jeder andere hatte etwas verlangt, das ich nicht erfüllen konnte, und mir aber auch nicht das geringste dafür geboten.
    Wenn ich einschlief, würde ich dann eine weitere Botschaft erhalten? Oder war mein Alkoholspiegel dafür zu niedrig? Was für ein Zusammenhang bestand da überhaupt? Sibla schien der Überzeugung zu sein, Trunkenheit würde einen telepathischen Kontakt eher erschweren als erleichtern. Warum war mein Korrespondent dann bei den zwei Gelegenheiten, wo ich betrunken gewesen war, so klar und deutlich durchgekommen? Wäre da nicht der ganz offensichtliche Effekt von Artikel 7224, Absatz C gewesen, fiel mir plötzlich ein, dann hätte ich überhaupt keine Möglichkeit gehabt, die Botschaften von normalen Halluzinationen im Zustand der Volltrunkenheit zu unterscheiden. Ich hätte sie höchstens als beste Möglichkeit, einen hochakuten Todeswunsch auszudrücken, ansehen können.

Weitere Kostenlose Bücher