Tortenschlacht
in altehrwürdigen Bibliotheken nach Weisheit suchen, strebsam nach vorn blickend in die Zukunft. Irgendwann, so habe ich immer gehofft, wird sie mir einen smarten Jungen vorstellen und vielleicht zum Studium nach Amerika gehen …
Stattdessen: Dicke Doofe Lola. – Dark. – Stammgast im Massengrab.
Sie hat mit Typen wie dem Irokesen ihre Freizeit verbracht, die Dead Kennedys gehört und sich beknackte Sprüche ins schwarze Album schreiben lassen. Mehr will ich mir gar nicht vorstellen. Willkommen in der ANORAK ZONE!
Was ist das überhaupt? Die ANORAK ZONE?
Am Fenster steht Melanies Gettoblaster. Ich drücke auf Tape, eine Kassette springt heraus. » ANORAK ZONE – Demoband« – na also! Wollen wir doch mal hören, was mein geliebtes Töchterchen in die autonome Hausbesetzerszene abgleiten ließ: Ich schiebe das Band wieder ein, drücke auf Play und lege mich lang auf Melanies Bett:
»One, two, one, two«, brüllt jemand in schneller Folge, »one, two, three, four!« Dann setzen schwere Bässe zu einem hastigen, nervös getrommelten Beat ein, und plötzlich höre ich die helle Stimme meines kleinen Engels. In atemlosem Stakkato singt Melanie von den Zwängen des Seins:
»Morgens um sechse stehst du auf,
Bist schlecht drauf,
Der Wecker ist eh viel zu laut,
Schnell ins Bad und aufs Klo,
Zum Kotzen ist dir sowieso,
Ob es regnet oder schneit
Und zum Frühstück wieder keine Zeit …«
»Tell me why«, brüllen raue Kerle zu peitschendem Gitarrensound, »tell me why-hy-hy-hy …«, und Melanie kreischt dazu:
»… ob in U-Bahn oder Bus:
Warum’s hier so voll sein muss?«
Donnernd setzt die Hammondorgel ein, die Bässe dröhnen, der Drummer schlägt den Takt der ewig rennenden Zeit.
»Pünktlich stehst du an der Werkbank,
Im Gestank,
Das System macht dich noch krank.
Rackerst, schuftest, machst dich platt
Und bist nur ein kleines Rad.
Vergiss den Himmel, blau und weit,
Zum Träumen hast du keine Zeit …«
»Tell me why«, brüllen die Jungs, und mein Kind ruft:
»… ist die Freiheit eher Frust,
Weil du Geld verdienen musst?«
Gott, denke ich fassungslos und stelle mir das Mädchen in einem zugerauchten Keller vor, inmitten von wüsten, alkoholisierten Kerlen. Sie grölen ihren Frust hinaus, die immer gleichen Fragen der Pubertät: Wo ist der Sinn des Lebens in einer Welt, die sich ganz anders dreht, als wir es uns als Kinder einst vorstellten? Was wird aus unseren Träumen und Wünschen? Und wie kommen wir mit dem Ende unserer Illusionen klar?
Die alten Probleme der Jugend, und vermutlich waren wir genauso rebellisch unterwegs. Auf der Suche nach dem Wahren, dem Schönen, dem eigentlichen Sein.
Tränen steigen mir in die Augen. Ich habe Angst. Angst, dass mir Melanie verloren gegangen ist. Hat sie gar den Feuertod gefunden? Was weiß ich überhaupt von ihr? – Nichts! Und ich habe alles falsch gemacht. Habe gedacht, wenn ich meine Tochter aus dem Osten hole, ist alles gut. Freiheit, Freude, Eierkuchen. Von wegen.
»Früher warst du Flamme und Feuer,
Heute ist alles nur noch teuer,
Selbst das Scheißen kostet Geld –
Was ist das für eine Welt?!«
Und die Kerle brüllen: »Tell me why, – tell me why-hy-hy-hy – tell – me – why?!«
Die Musik stoppt abrupt, und erst jetzt höre ich das Klingeln an der Tür.
Hat Hünerbein etwas vergessen?
Oder ist das Melanie? Aber die hat doch einen Schlüssel …
Ich springe auf, eile in den Flur und sehe durch den Spion, aber es hält jemand den Finger drauf. Hastig reiße ich die Tür auf.
»Was verdammt …«
»Überraschung!« Eine schlanke Schönheit strahlt mich an. Sehr schick, in Businesskostüm und Mantel von Thierry Mugler. Das lange lockige Haar zum strengen Pferdeschwanz gebunden.
Ich erkenne sie kaum wieder, aber es ist Monika!
Auch das noch! Wie soll ich ihr das Verschwinden unserer gemeinsamen Tochter erklären? Ihren möglichen Tod?
»Ist irgendwas?« Moni sieht mich fragend an. »Störe ich? Ich wollte dich erst anrufen, dachte aber …«
»Schon gut«, sage ich und trete etwas beiseite, damit Monika hereinkommen kann. »Ich war nur gerade ganz woanders …«
»Ja, Siggi sagte mir, du arbeitest an einem schwierigen Fall.« Monika reicht mir ihren feuchten Schirm und zieht sich den Mantel aus. »Das ist vielleicht ein Wetter draußen.«
»Siggi?« Seit wann spricht Monika wieder mit ihrem Exmann? Ich fasse es nicht. »Und woher weiß das Arschloch von meinen Ermittlungen?«
»Ganz ruhig, Dieter!« Monika
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