Tortenschlacht
Dieter.«
»Ich nicht«, erwidere ich kopfschüttelnd, »ich bin hier zu Hause.«
»Auch für dich wird sich die Welt ändern«, sagt Monika, und es klingt wie eine Drohung, »verlass dich drauf!« Sie seufzt und tritt ans Fenster.
»Was hab ich zu verlieren?«, setzt sie nach einer Weile nachdenklich hinzu. »In Görlitz gibt es schon lange keine Zukunft mehr.«
»Aber bei Siggi, ja?« Ich tippe mir gegen die Stirn. »Aufstiegschancen, ich lache mich tot! Zumindest moralisch ist das ein Absturz!«
»Oh, ausgerechnet du kommst mit Moral?« Monika kann sehr spitz klingen, wenn sie will. »Da muss mir was entgangen sein!«
Sie dreht sich wieder um und sieht mich offen an.
»Du solltest mich kennen, Dieter. Meine Zukunft sieht anders aus, als Siggi sich das heute vorstellt.« Sie hebt das Glas, prostet mir zu.
Ich starre sie an. Irgendwas führt sie im Schilde, überlege ich. Was hat sie vor? Doch noch bevor ich danach fragen kann, klingelt das Telefon.
Mit einem Satz bin ich dran und nehme den Hörer ans Ohr. »Hallo?«
»Ich bin’s«, Hünerbeins Stimme, »schon was Neues von Melanie?«
»Nein«, jetzt ist die brennende Sorge wieder da, »leider nicht.«
»Mhm«, macht Hünerbein am anderen Ende der Leitung, »pass auf, ich hab jetzt alle Krankenhäuser in der Stadt durchgerufen – aber da ist sie nicht. Nirgendwo eine Melanie Droyßig, das ist auf jeden Fall ein gutes Zeichen, klar?«
Oder ein schlechtes, denke ich.
»Bist du noch dran?«
»Ja«, sage ich, »danke, Harry.«
»Ruf mich an, wenn’s was Neues gibt, okay?«
»Okay.« Ich lege auf.
Monika sieht mich prüfend an: »Alles in Ordnung?«
Nee, denke ich. Ich muss reinen Tisch machen. Ich will ihr gerade sagen, welche Sorgen ich mir seit heute Morgen um unsere Tochter mache, da klingelt erneut das Telefon. Wieder habe ich den Hörer am Ohr.
»Ist noch was, Harry?«
»Vati!«
Endlich! Das ist, Gott sei Dank, Melanies Stimme. Mir fällt ein ganzer Felsbrocken vom Herzen.
»Vati«, ruft sie zittrig und etwas atemlos, »Vati, du musst ganz schnell herkommen, hier ist was Furchtbares passiert!«
8 WERNER VON LAHN erwartete den späten Besucher in der Bibliothek seines Palais am Kleinen Wannsee. Ein heute unter Denkmalschutz stehender, von einem Schüler Karl Friedrich Schinkels entworfener neoklassizistischer Bau, der das erwachende Selbstbewusstsein des preußischen Bürgertums nach 1848 widerspiegelte.
Denn obwohl die von Lahns von Adel waren, hatten sie früh mit der Tradition des ostelbischen Landjunkertums gebrochen und sich stattdessen in der Wirtschaft engagiert. Sie waren Pioniere der industriellen Revolution, investierten in die aufstrebende Stahlindustrie, unterhielten Kupferminen in Deutsch-Südwestafrika und stiegen in die Finanzwelt auf. Anfang des Jahrhunderts war das Bankhaus von Lahn eines der größten preußischen Geldinstitute. Es finanzierte den Aufbau der Kaiserlichen Marine mit, half der Regierung von Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg mit Krediten aus und rettete die junge Republik nach dem Zusammenbruch der Monarchie vor dem Bankrott.
Doch die Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts forderten auch bei den von Lahns ihren vollen Tribut. Am Ende hatten sie fast alles verloren. Fabriken, Immobilien, die großen Güter im Märkischen – alles weg: enteignet, von den Russen konfisziert, im Krieg zerstört.
Lediglich das altehrwürdige Palais am Kleinen Wannsee erinnerte noch an die großen alten Zeiten, als der Name von Lahn noch etwas galt im Lande und eng verwoben war mit den Mächtigen und Reichen. Doch inzwischen zeigte sich auch hier der Verfall. Das Dach leckte, viele Reparaturen waren fällig, eine Hausschwammsanierung wäre dringend nötig – aber wovon sollte man das alles bezahlen? Das Anwesen gehörte ohnehin längst den Banken. Jahrzehntelang hatte Werner von Lahn seine Familie nur durch immer neu aufgenommene Hypothekenkredite ernährt und den Schein gediegener Vornehmheit gewahrt. Lange war das gut gegangen, das Grundstück in absoluter Toplage war mehrere Millionen Mark wert. Doch dann hatten die Banken die Kredite gekündigt und die Zwangsvollstreckung beantragt. Denn natürlich – von Lahn lachte bitter auf – waren sie scharf auf sein herrliches Anwesen am Kleinen Wannsee, jetzt, wo Berlin wieder eins war, und wollten an den steigenden Grundstückspreisen verdienen.
Nachdenklich sah Werner von Lahn zum Fenster hinaus.
Der große, früher einmal parkähnliche Garten fiel sanft
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