Tortenschlacht
schnaufend.
»Das war doch ein Individualist«, rief Kowalski vorwurfsvoll, als sei das was ganz Schlimmes, »dem war die Gemeinschaft doch völlig egal! Selchow hätte siebenundachtzig Sieger bei ›Mach mit‹ werden können! Und wissen Sie, warum wir’s nicht geworden sind?«
Friedrichs sah auf und lächelte melancholisch. Auch er hatte Subbotniks zum Wettbewerb »Schöner unsere Städte und Gemeinden – Mach mit!« organisiert, bei denen die Bürger um die Goldene Hausnummer konkurrierten. Eifrig wurden an arbeitsfreien Samstagen gemeinsam Fenster geputzt und Türen gestrichen, Blumenbeete angelegt, Gehwege und Straßen ausgebessert. Alle waren dabei. Die DDR sollte schöner werden. Und sie wurde es auch, dank des unermüdlichen Einsatzes ihrer Bürger. So bunt wie der Westen wurde sie allerdings nie. Es hätte noch den einen oder anderen Subbotnik gebraucht bis zum Weltniveau. Und mehr Werbeflächen.
»Weil Arndt«, sagte er langsam, »eben nicht mitgemacht hat?«
»Richtig.« Kowalski winkte wütend ab. »Und wissen Sie was? Ich bin froh, dass dieser Nestbeschmutzer tot ist! Das wäre extrem ungerecht gewesen, wenn der von seinen Millionen noch was gehabt hätte. Ich hab mir immer gewünscht, ersticken soll er an dem Geld, einfach verrecken!«
»Und da haben Sie nicht ein bisschen nachgeholfen?«
Kowalski schüttelte den Kopf. »Vielleicht hätte ich’s getan. Wenn jetzt der Flughafen ausgebaut wird und wir alle unsere Häuser verlieren – ja, dann hätte ich es vielleicht getan. Aber …« Er sah Friedrichs an. »… da ist mir wohl jemand zuvorgekommen.«
Die Schreibmaschine klackerte, machte »pling!«, klackerte weiter und verstummte schließlich. Fragend sah die Volkspolizistin auf.
»Machen wir Schluss«, sagte Friedrichs und erhob sich. »Herr Kowalski, Sie folgen bitte der Kollegin und bestätigen die Abschrift mit Ihrer Unterschrift. Danach können Sie gehen. Sie halten sich aber weiter zu unserer Verfügung, verstanden?«
Kowalski nickte. »Ich hab einen Garten. Ich kann nicht weg.«
»Gut.« Friedrichs öffnete die Tür. »Wiederschaun.«
Die Uniformierte zog ihre Papiere aus der Schreibmaschine und folgte Kowalski hinaus. Friedrichs schloss die Tür wieder und sah Hünerbein lächelnd an.
»Na? Wie gefällt Ihnen meine Dienststelle?«
»Urig«, antwortete Hünerbein und zeigte auf die Tür. »Wer war das?«
»Klaus Kowalski, der Bürgermeister von Selchow.« Friedrichs machte sich an einem Wasserkocher zu schaffen. »Schon seit über zwanzig Jahren. Die Bürger wählen ihn immer wieder.«
»Na ja«, nickte Hünerbein, »er kümmert sich, sorgt sich um die Gemeinschaft.«
»Es ist wie in einer Großfamilie«, bekräftigte Friedrichs, »die kennen sich hier alle seit Jahrzehnten. Es brodelt im Verborgenen, die Leute sind verstrickt in gegenseitige Beziehungen, es gibt Freund- und Feindschaften, Verrat und Liebe. Verrückte Drohungen.« Er zeigte auf den anonymen Brief auf einem Tisch. »Genug Motive für Mord und Brandstiftung.«
»Aber?« Hünerbein sah zu, wie Friedrichs zwei Tassen auf seinen Schreibtisch stellte und ein Teelicht anzündete.
»Es ist zu normal.« Friedrichs nahm den kochenden Wasserkocher und goss den Tee in einer kleinen Kanne auf. »Mordmotive haben wir alle. Wir werden geliebt oder betrogen, wir hassen und betrügen selbst. Wir sind eifersüchtig aufeinander, fühlen uns übervorteilt und belogen. Und trotzdem morden wir nicht drauflos, obwohl wir oft daran gedacht haben, es einfach zu tun. – Vorsicht, heiß!« Er schenkte Tee ein und stellte die Kanne dann auf dem Stövchen mit dem Teelicht ab. »Ich habe mir also gedacht, wenn ein Mord geschieht, muss etwas Besonderes sein, etwas, das über normale menschliche Zerwürfnisse hinausgeht. Und nach diesem Prinzip bin ich alte Akten durchgegangen. Immer weiter zurück. – Zucker?
»Zwei Stück«, nickte Hünerbein.
Friedrichs griff nach einer Zuckerdose und reichte sie ihm. »Nehmen Sie sich selbst?«
»Natürlich, danke.«
»Jetzt ist wieder die Zeit für Tee, wissen Sie?« Friedrichs sah aus dem Fenster. Die alten Buchen im Hof des Kreisamtes warfen bereits ihre dunkelroten Blätter ab. »Es wird Herbst – obgleich es ja heute wieder recht sommerlich warm draußen ist.«
»Ich kann immer Tee trinken«, sagte Hünerbein und rieb sich hungrig den umfangreichen Bauch, »ein paar Kekse wären nicht schlecht.«
»Warten Sie, ich hab irgendwo noch ein Päckchen Spekulatius gefunden.« Er stand wieder
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