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Tortenschlacht

Tortenschlacht

Titel: Tortenschlacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G Wachlin
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»vor mir liegt Werner von Lahn. Ein Grandseigneur der Berliner Politik! Der Mann hatte Rückgrat, sage ich Ihnen. Und völlig gesund. Topfit für seine sechzig Jahre!«
    »Das sehe ich anders«, murmele ich. Immerhin ist der Mann tot.
    »So kleinlich, Knoop?« Der Totengräber zieht sich die Handschuhe aus, greift nach einer Kladde und sieht mich über seinen Brillenrand hinweg prüfend an. »Können wir? Oder brauchen Sie erst einen Kräuterbitter?«
    »Bloß nicht!« Die Kräuterschnäpse des Prof. Dr. Hubertus Graber sind berüchtigt. Zwar räumen sie den Magen auf, dafür ist man drei Tage lang blau. Das kann ich mir nicht leisten. Nicht, wenn Palitzsch Ergebnisse braucht.
    »Zur Sache, Professor!« Ich muss das hier zügig hinter mich bringen. »Seit wann ist er tot?«
    »Mindestens zweiundvierzig Stunden«, antwortet der Totengräber, »Samstagnacht zwischen zwei und drei Uhr, und er hatte knapp ein Promille Alkohol im Blut. Der Mann war nach schwerer Schädelbasisfraktur augenblicklich hirntot. Der hat davon nicht viel mitbekommen …«
    »Aber?« Ich frage, weil in Grabers Stimme so etwas nachklingt.
    »Na ja«, überlegt der, »mir ist einfach noch nicht klar, was mit ihm genau passiert ist: Die Verletzungen sind eindeutig, typisch bei Autounfällen, wenn die Opfer nicht angeschnallt sind. Er ist mit dem Kopf voran gegen etwas sehr Hartes geknallt.«
    »Pfosten«, frage ich, »Windschutzscheibe?«
    »Kein Verbundglas«, meint Graber kopfschüttelnd. »Muss ein sehr altes Auto gewesen sein. Mit sehr robusten Scheiben. Ich fand nirgendwo Glassplitter.«
    Alte Autos haben Autonome auch, denke ich, und plötzlich wird mir ganz kalt. Was, wenn die Hausbesetzer das Gesetz in die eigene Hand genommen haben? Wenn sie sich mal eben bei einem dieser, wie sie glauben, Immobilienhaie gerächt haben? Verdammt, ich muss Melanie von denen fernhalten!
    »Was fuhr Lahn denn für einen Wagen?«
    Der Totengräber zuckt die Schultern. »Er wird nicht selbst gefahren sein, sonst wären Oberkörper und Kopf vom Lenkrad zusätzlich deformiert worden – zudem, das hatten wir schon, wurde die Leiche am Fundort abgelegt. Er muss irgendwo anders gestorben sein.«
    »Vielleicht auf der Autobahn?«, überlege ich, und allmählich steigt mir die Magensäure in die Speiseröhre hoch. »Ein klarer Fall von Fahrerflucht.«
    »Na, so klar nun auch wieder nicht.« Graber schüttelt den Kopf. »Werner von Lahn aber saß mit neunundneunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit mit im Auto. Und dann schmeißt der Fahrer seinen toten Insassen raus und haut ab?«
    »Wir sollten seinen Chauffeur befragen«, erwidere ich und versuche, meine Atmung ruhig zu halten.
    »Tun Sie das. Aber ich halte das, mit Verlaub, für völlig abwegig.«
    Ja, und genau das ist das Problem, denke ich und muss jetzt aber wirklich raus hier! »Danke, Professor.«
    Ich renne würgend aus dem Raum, stürze durch Flure und Treppen und gelange endlich ins Freie.
    Frische Luft, schnell durchatmen – doch zu spät. Es kommt, es kommt unweigerlich und ist nicht mehr aufzuhalten.
    In letzter Minute erreiche ich den Papierkorb an der Bushaltestelle und entleere mich hinein.
    »Mama, was macht der Mann da?«, fragt ein kleiner Junge, der mit seiner Mutter auf den Bus wartet.
    »Guck da nicht hin«, zischt die Mutter, »das ist ein Besoffener!« Verächtlich sieht sie mich an. »Schämen Sie sich!«
    »Mach ich«, versichere ich, obwohl ich völlig nüchtern bin. Ich nicke ihr entschuldigend zu, laufe zu meinem Wagen, steige ein und fahre davon.
    Die Mutter starrt mir entsetzt nach.
    Soll sie denken, was sie will, wichtig ist allein, dass ich mir nicht im Leichenschauhaus vor Prof. Dr. Graber die Blöße gegeben habe.
    31    IN DER KRIMINALTECHNIK arbeiten sie auf Hochtouren. Kriminaloberrat Palitzsch macht telefonisch ordentlich Druck, und Damaschke ist entsprechend genervt.
    »Du auch noch«, sagt er zu mir und guckt mich aus klagenden Augen vorwurfsvoll an, »findeste das gerecht? Wenn irgendeine Oma totgefahren worden wäre, würde kein Hahn danach krähen, aber so ‘n Politiker, hui, da ist vielleicht was los – da gibt’s dann kein Halten mehr! Was war denn das für ‘n Arschloch?«
    »Hör, Jürgen, habt ihr irgendwas für mich? Ich bin etwas in Eile!«
    »So, bläst dir Palitzsch auch den Marsch, ja?« Damaschke tippt sich an die Stirn. »Vor dem Gesetz sind alle gleich. Doch manche sind gleicher.«
    »Die haben immerhin den Reichstag gebaut«, gebe ich mein Wissen

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