Auf nassen Straßen
Als er aus dem Zug stieg und langsam den Bahnsteig hinunterging, sahen ihm die Mädchen nach.
Er lächelte vor sich hin. Er war es gewöhnt. Ob München, Köln oder Duisburg – es war immer das alte Lied: Wenn die Mädchen ihn ansahen, wurden ihre Augen blank, ihre Köpfe rosig, und sie senkten die Augen und wurden unsicher im Gehen und in den Bewegungen.
In der großen Bahnhofshalle blieb er stehen, stellte seinen schweinsledernen Handkoffer neben sich und zündete sich eine Zigarette an. Sein braunes, etwas eckiges Gesicht mit dem starken Kinn und dem schmalen Mund glänzte matt.
Es war August, die Sonne brannte über das Steinmeer Duisburg, der Dunst von Auspuffgasen, schwitzenden Menschen, niedergedrücktem Industrierauch und einem Gemisch Hunderter Gerüche trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Er lockerte den bisher korrekten Knoten seiner hellen, stark gemusterten Krawatte, öffnete den oberen Knopf seines Hemdes und prüfte schnell in der blinkenden Scheibe eines Ladens, ob diese Lockerung seines Aussehens auch nichts von dem Eindruck seiner Person fortnahm.
Zu Hause, dachte er. Das ist also das Zuhause!
Nach elf Jahren …
Jochen Baumgart bückte sich und nahm den Schweinslederkoffer wieder in die Hand. Er sah einem Mädchen nach, das an ihm vorbeitänzelte. – Kurzer, glockiger Rock, blonde, lange Haare, ein rotgeschminkter, voller Mund. – Die Welt ist überall schön, dachte er, wo es so etwas gibt! Der alte Kahn an Kai 13 A sollte nicht seine Heimat werden. Vielleicht ein Urlaub, einige schickliche Wochen des Wiedersehens – mehr nicht.
So traf Jochen Baumgart nach elf Jahren in Duisburg ein: Ein Fremder, der sich vornahm, ein Fremder zu bleiben.
Auf dem Selbstfahrkahn ›Guter Weg‹ flatterte tatsächlich die Wäsche, als Jochen Baumgart aus der Taxe stieg und dem Fahrer das Geld in die Hand drückte. Eine schmale Holzplanke war an Land gelegt und bildete die einzige Verbindung. Hinten, im Steuerhaus, sah Jochen den weißen Kopf seines Vaters. Der alte Mann schraubte an irgend etwas herum und wischte sich mit dem Ärmel seiner blauen Schifferjacke ab und zu über die Stirn. Vorne, am Bug des langen, hoch und leer aus dem Wasser ragenden Kahns, saß Hannes und angelte. Er rauchte Pfeife dabei und starrte auf den in den öligen Wellen tanzenden Schwimmer seiner Angel.
Jochen Baumgart sah sich nach dem Taxifahrer um, der in den Taschen nach Wechselgeld suchte. »Es ist gut.«
»Danke, der Herr.« Der Wagen entfernte sich schnell.
Einer von ihnen hätte am Bahnhof sein können, dachte Jochen plötzlich. Sie wissen, daß ich heute komme. Und sie kennen den Zug aus München, ich habe es ihnen geschrieben. Aber es war wohl nie die Art der Baumgarts, Gefühle zu zeigen – auch nicht nach elf Jahren Trennung. Nur die Mutter würde ungeduldig warten, das wußte er. Sie hatte bestimmt einen Kuchen gebacken, Kirschkuchen, den er so gern aß.
Er seufzte und nahm seinen Koffer vom Boden auf.
Vorsichtig, nicht mehr das Gehen auf einem Binnenschlepper gewohnt, schritt er über das schmale Brett auf den Kahn.
»Hallo!« rief er laut. »Hallo! Da bin ich!«
Der weiße Kopf des alten Baumgart tauchte hinter der Scheibe des Steuerhauses auf. Ein Lachen zog über sein runzeliges Gesicht, er winkte mit ölverschmierten Händen. Hannes legte seine Angel hin und lief mit ausgestreckten Armen auf den Bruder zu. In der Tür zu den Wohnkojen erschien eine bunte Schürze, ein grauhaariger Kopf, ein kleiner, dicker Körper.
»Mutter«, sagte Jochen leise. Er stellte den Koffer auf die Planken des Schiffes und rannte ihr entgegen. »Mutter – es ist so schön, wieder hier zu sein …«
Er wußte in diesem Augenblick nicht, ob es Wahrheit war oder eine höfliche Lüge.
Später saß er in der Wohnkoje, aß den Kirschkuchen, trank den guten Kaffee, wie nur Mutter ihn machen konnte, und sah von Vater zu Hannes und empfand, daß die Gesichter ihm fremd geworden waren.
Schiffergesichter, dachte er. Gegerbt im Wind, wie aus Stein gehauen, lebende Plastiken, die man anschaut, weil sie ungewöhnlich sind, ein ›Typ‹, und die man vergißt, sobald man sie nicht mehr vor sich hat.
»Du bist nun wieder zu Hause«, sagte der alte Baumgart und stopfte sich die Pfeife.
»Wir müssen über die Zukunft sprechen.«
»Er ist doch gerade gekommen, Peter«, sagte die Mutter und legte ihre runzlige Hand auf Jochens gepflegte und manikürte Finger. Er hatte sich noch vor der Abfahrt in München die Nägel schneiden und sie
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