Totenblick: Thriller (German Edition)
Sack wurde von ihrem Kopf entfernt.
Dolores saß wieder im Dunkeln. Ihr wollten die Augen vor Entspannung zufallen, doch er griff ihr in die Haare und hob den Kopf an, legte Kinn und Stirn gegen eine Halterung, damit sie nicht abrutschte.
Dann schoben sich Spangen unter ihre Lider und zogen sie auseinander, so dass ihre Augen weit geöffnet blieben.
Eine Pipette schwebte heran, Tropfen schossen mit Elan gegen die Pupillen. Es brannte unangenehm, doch wehren konnte sie sich nicht.
»Keine Angst. Das ist nur Atropin, um Ihre Augen noch aufnahmefähiger für das Bild zu machen. Es kann gleich losgehen, Frau Engel. Jetzt hinterlasse ich einen Gruß an Ihren Vater.«
Dolores dämmerte dahin, ohne einschlafen zu können. Die Augen tränten, sie schmeckte den feuchten Stein der Umgebung bei jedem Atemzug am Gaumen.
Klack.
Ein einzelner Spot fiel auf das Gesicht eines Mittfünfzigers, der sie breit anlachte und dabei eingefroren zu sein schien. Sie fand ihn in ihrem sedierten Verstand an sich sympathisch, vor allem die warmen braunen Augen, die hinter einer Hornbrille lagen. Die kurzen silberschwarzen Haare gaben ihm etwas Gediegenes, und die Narben am Hals und an der linken Stirnseite verschafften ihm das Aussehen eines Abenteurers.
Dolores stöhnte.
Das Licht war für die geweiteten Pupillen viel zu grell, und sie konnte nicht blinzeln. Die Klammern hielten die Lider offen, und die Pupillen wollten sich nicht wirklich bewegen. Wie in Trance starrte sie den regungslosen, strahlenden Mann an, der sie gleich umbringen würde.
Sie hatte das Gefühl, das sich sein Anblick auf ihre Netzhaut brannte, wie bei alten Röhrenmonitoren, wenn der Bildschirmschoner nicht ansprang.
Gerade vergingen Sekunden.
Stunden.
Tage.
Jahre.
Dolores verlor jegliches Zeitgefühl. Es gab nur den Spot und den lachenden Mörder. Ihr Herzschlag kam ihr unendlich langsam vor.
Dann sah sie noch etwas: die Eisenschiene, die einer Regenrinne ähnelte und in der eine gespannte Stahlfeder ganz zurückgekurbelt war.
Rechts saßen die Kurbel und ein einfacher Knopfauslöser, links ragte eine unterarmlange angeschrägte Schneide waagrecht aus der Führungsschiene. Sie glänzte geschliffen im Lichtkegel und würde genau auf ihren Hals zujagen, sobald der lächelnde Mann zudrückte.
Seine Hand lag dicht neben dem Knopf.
***
Ares brachte den Golf am Leuschnerplatz zum Stehen. Er hatte den Transporter seiner Tochter entdeckt – aber auf den Anruf wartete er vergebens. Ihm war schlecht. »Wenn er sie geschnappt hat …«
»Sehen wir nach. Vielleicht ist sie doch im Wagen geblieben.« Lackmann sprang hinaus und rannte durch den Regen. Ares folgte ihm.
Gemeinsam umrundeten sie den abgesperrten Wagen.
Keine Dolores.
»Scheiße!« Er sah sich um, konnte sie aber nirgends entdecken.
»Löwenstein!«
Er drehte sich zu Lackmann.
Der schlaksige Kommissar war ein paar Meter weitergegangen, an das zugemauerte Bowlingcenter, und schob sich durchs Gestrüpp. »Hier ist jemand durchgegangen. Die Äste sind abgeknickt.« Er bückte sich und hob etwas hoch. »Gehört das Ihrer Tochter?«
Ares eilte heran und sah das Haargummi: eine schwarze Katze mit gebleckten Zähnen und bösem Grinsen. »Ja.« Seine Blicke richteten sich auf das Gestrüpp. »Wohin geht es da?«
Sie marschierten vorwärts, kämpften sich durch Ranken und verstreuten Müll hindurch, bis sie zu einem Treppenabgang gelangten. An dessen Ende wartete eine massive Eisentür. Sprayer-Tags hafteten daran, sie war verbogen und schien verschweißt.
»Was ist das?«
»Der Zugang zu den Lagerhallen, in denen die Waren für die alte städtische Markthalle gestapelt wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg blieben lediglich die unterirdischen Hallen übrig«, sagte Lackmann und gab per Funk durch, wo sie sich befanden. Das SEK-Team war bereits auf dem Weg zu ihnen. »Danach wurden die Räume zu einem Bowlingcenter umgebaut, aber das ist schon lange dicht.«
Ares ging die Stufen hinab, der Kommissar folgte ihm.
Als er seine kräftigen Finger an eine Türkante legte und anzog, schwang sie auf.
Lackmann suchte eine kleine Taschenlampe heraus. Er und Ares sahen sich an und zogen ihre Pistolen.
Keiner wollte auf das SEK warten.
***
Dolores döste und starrte, wusste nichts mehr. Sie sah nur noch das Gesicht ihres Entführers.
»Das genügt«, sagte er wie ein Bauchredner, ohne die Lippen zu bewegen. »Grüßen Sie schön!«
Ein lautes Quietschen erklang.
»Dolores?«, rief ihr Vater wütend.
Auf
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