Totenblüte
er vielleicht sogar erleichtert war, endlich erwischt zu werden. «Am besten kommen Sie jetzt mit mir nach draußen.»
Er starrte sie an, ohne ein Wort zu sagen.
Sie sprach mit ruhiger Stimme weiter. «Seit ich wusste, dass Lily eine Affäre mit Peter Calvert hatte, war mir klar, dass Sie die beiden umgebracht haben. Sie kannten beide Familien. Anfangs habe ich nur nicht verstanden, warum. Aber Sie haben es für sie getan, nicht wahr? Für Tom und Peter. Für Ihre Freunde.»
Sie hatte geglaubt, dass er etwas darauf erwidern würde, doch er packte nur die Lampe am Drahtgriff und schleuderte sie gegen die Wand. Das Glas barst, die Holzbretter fingen umgehend Feuer; die Farbe darauf zerschmolz zu Blasen und Pusteln, und die Flammen folgten dem verschütteten Petroleum. Stringer wich vor Vera in eine Ecke zurück. Doch sie beachtete ihn gar nicht mehr: Ihre ganze Aufmerksamkeit war jetzt auf das Mädchen gerichtet, eine reglose Gestalt, die am Boden zu ihren Füßen lag. Laurawar in eine Decke gewickelt, die auch ihr Gesicht bedeckte. Vera hob sie hoch, spürte, wie schmal und leicht sie war. Da erschien Ashworth in der Tür und schrie ihr zu, sie solle sofort da rauskommen. Vera drückte ihm das Bündel in die Arme und wandte sich wieder nach Stringer um. Seine Kleidung hatte noch kein Feuer gefangen, aber er war bereits ganz von Flammen umschlossen. Der rote Widerschein spiegelte sich in seinen Brillengläsern. «Kommen Sie raus hier, Mann. Das hätten Ihre Freunde nicht gewollt.»
Er zeigte mit keiner Regung, dass er sie gehört hatte.
Vera wollte auf ihn zu, doch Ashworth packte sie am Arm und zog sie nach draußen.
Er hatte das Mädchen ins Gras gelegt. Ihr Gesicht war dreckig, der Mund mit Klebeband verschlossen, Hände und Füße gefesselt. Vera riss ihr das Klebeband vom Mund, tastete nach einem Puls. Sie sah nicht, wie die Hütte in sich zusammenbrach, wie das schwere Dach auf Clive drinnen herabfiel und ihn unter sich begrub, bis er nicht mehr entkommen konnte, selbst wenn er gewollt hätte. Falls er schrie, hörte sie es nicht.
KAPITEL VIERUNDVIERZIG
Vera hatte davon geträumt, Laura ihrer Mutter zurückzubringen. Von dem Moment an, als ihr klargeworden war, dass das Mädchen vermisst wurde, hatte sie dieses Bild im Kopf gehabt. Sie hatte sich in Julies Küche stehen sehen, den Arm um Lauras Schultern gelegt.
Schauen Sie mal, wen ich hier habe, Herzchen. Ich hatte Ihnen ja gesagt, dass ich sie Ihnen heil und gesund wiederbringe.
Und Julie war ihr so dankbar gewesen. Im Traum.
In Wirklichkeit aber spielte es sich ganz anders ab. In Wirklichkeit war Ashworth der Held. Als sie das Klebeband von Lauras Mund entfernten, fing das Mädchen an zu husten und zu keuchen. Vielleicht waren es die Belastungen des Tages, die jetzt diesen Asthmaanfall hervorriefen, vielleicht auch die Tatsache, dass sie so lange nicht richtig hatte atmen können. Ashworth war es, der die Symptome erkannte, der den Krankenwagen rief und mit Laura ins Krankenhaus fuhr. Er saß neben ihr und hielt ihre Hand, als sie mit heulendem Martinshorn die Spine Road entlang zum Wansbeck General brausten. Als sie im Krankenhaus ankamen, war sie schon wieder viel ruhiger. Man behielt sie über Nacht zur Beobachtung dort, doch schon am nächsten Morgen wollte sie unbedingt nach Hause. Sie war wieder ein kleines Mädchen, das nur zu seiner Mutter wollte.
Es war schon fast Mitternacht, als Julie von Holly in das Krankenzimmer geführt wurde, wo Laura zur Beobachtung lag. Julie wirkte angespannt, hatte die Stirn gerunzelt. Anscheinend wollte sie nicht recht glauben, dass Laura wirklich in Sicherheit war, bis sie es mit eigenen Augen gesehen hatte. Ashworth saß immer noch an Lauras Bett, als die beiden hereinkamen, und so war er es, der Julies Tränen sah, ihre Dankbarkeit erlebte. Und obwohl Vera wusste, wie albern das war, kränkte es sie doch, dass sie nicht diejenige gewesen war, der Julie mit Tränen in den Augen dankte. Dafür hatte sie aber recht damit behalten, Clive Stringer zu verdächtigen. Das war immerhin ein Trost.
Sie selbst war im Garten von Deepden geblieben, anstatt das Mädchen zu seiner Mutter zurückzubringen, und hatte auf die Ankunft des Wanderzirkus gewartet, den ein so schwerer Vorfall immer auf den Plan ruft. Als Erstes traf die Feuerwehr ein. Die Feuerwehrmänner waren sichtlich enttäuscht, dass es sich nur um ein so kleines, leicht zubändigendes Feuer handelte. Vera hatte das Gefühl, als fänden sie ihre Anwesenheit
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