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Totenblüte

Totenblüte

Titel: Totenblüte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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aus nicht sah. Ganz überrascht waren sie gewesen, als sie auf ihrem Rundgang über einen Pfad, der das Unterholz durchschnitt, dorthin geführt wurden. Kurz vor dem kleinen Bau lichtete sich das Dickicht, und dort hatten siesich postiert, ein Publikum, das auf den Beginn der Vorführung wartete.
    Vera versuchte, sich zu orientieren. Sie hatte gespürt, wie ihr Vater immer unruhiger wurde, als sie an jenem Abend neben ihm gestanden und dem Beringer bei der Arbeit zugesehen hatte. Er ertrug es nie lange, nicht selbst im Mittelpunkt zu stehen. Vera befürchtete schon, er könnte abhauen, seine Langeweile zum Ausdruck bringen, indem er vor aller Augen die Flucht ergriff. Das wäre gar nicht weiter schwierig gewesen: Die Hütte stand direkt am Rand des Grundstücks, an der Grenze zu dem stoppeligen Weideland, das sich bis zum Meer erstreckte.
    Jetzt ging sie langsam am Rand des Rasens entlang und suchte nach einem Durchschlupf im Dickicht. Der Mond schien plötzlich heller – vielleicht hatten sich ihre Augen auch nur an das Dunkel gewöhnt. Und schließlich fand sie den schmalen Pfad, der zwischen den Büschen hindurchführte. Sie zwang sich, langsam zu gehen. Wenn sie zu schnell waren, würde er sie kommen hören, das wusste sie. Falls er die Ohren gespitzt hielt, würde er sie ohnehin hören. Manche Laute ließen sich einfach nicht vermeiden: Veras angestrengte Atemzüge, das Knacken der trockenen Äste, die sich in ihren Kleidern verfingen. Der Pfad war so schmal, dass sie gar nichts dagegen tun konnte. Aber vielleicht horchte er ja nicht. Vielleicht hatte er in der Hütte nicht einmal das Licht vom Haus her gesehen. Vera fürchtete, dass es ihn zu einer dramatischen Geste veranlassen könnte, wenn er mitbekam, dass sie hier waren. Es würde ihn zwar aus dem Konzept bringen, wenn man ihn daran hinderte, seine Wasser- und Blumennummer zu inszenieren, doch einem Live-Publikum würde er sicher trotzdem gern etwas vorführen.
    Er hat vergessen, wieso er eigentlich damit begonnen hat. Er
hat sich vom Glanz des Ganzen verführen lassen. Wahrscheinlich sammelt er alle Zeitungsartikel in einem Album. Wo wir das wohl finden werden?
    Die Hütte sah genauso aus, wie Vera sie in Erinnerung hatte. Soweit sie das im schwachen Licht erkennen konnte, war nur der Anstrich etwas abgeblättert, das Dach etwas rostiger als früher.
    Sie blieben am Rand der Lichtung stehen. Vera brachte den Mund so nah an Ashworths Ohr, dass ihre Lippen kurz seine Haut streiften.
    «Warten Sie hier. Bis ich rufe.»
    Dann schlich sie behutsam über das Gras und war sich dabei ihres Gewichts nur allzu bewusst, spürte den Raum, den sie einnahm. Als könnte der Mann drinnen in der Hütte spüren, wie ihre Füße auf dem Boden aufkamen, wie ihr Körper die Luft verdrängte.
    Vor der Tür blieb sie stehen. Kein Vorhängeschloss. Die Tür war von innen zugeschoben, schien aber nicht verriegelt zu sein. Vera lauschte. Keine Stimmen. Dann hörte sie ein metallisches Quietschen, und gleich darauf ein Zischen. Im Spalt zwischen Tür und Türrahmen schimmerte ein weißliches Licht auf.
    Als sie die Tür öffnete, versuchte sie sich einzureden, dass sie nur bei ihren Nachbarn vorbeischaute. Keine große Sache, ganz locker und freundlich, als wollte sie einfach um etwas bitten.
Mir ist der Stoff ausgegangen. Könnt ihr vielleicht eine Flasche Wein erübrigen?
     
    Clive Stringer stand an einem schmalen Holztisch. Auf sein Gesicht fiel das Licht einer Petroleumlampe. Das war es, was Vera gehört hatte: das Quietschen des Lampenfußes, nachdem er das Öl eingefüllt hatte, das leise Zischen, als er die Lampe anzündete. Neben der Lampe lag ein StraußBlumen, fast nur Margeriten, deren Stiele mit feuchtem Zeitungspapier umwickelt waren. Vera gab sich Mühe, sie nicht zu genau zu betrachten und auch nicht in den dunkleren Winkeln des Raumes nach dem Mädchen zu suchen. Die Fangnetze für die Zugvögel lagen zusammengerollt und in Taschen verstaut in einer Ecke, dazwischen die dünnen Nylonseile, mit denen die Pfähle fixiert wurden. So ein Fangnetz hatte auch in Clives Zimmer gelegen. Vera war sich sicher, dass er seine Opfer mit einem solchen Halteseil erdrosselt hatte. Jetzt war sie froh um ihren massigen Körper, der den Türrahmen fast ausfüllte. Clive Stringer wirkte regelrecht schmächtig gegen sie.
    «Das Spiel ist aus, Herzchen», sagte Vera. Ihr Ton war ganz freundlich. Eigentlich rechnete sie gar nicht damit, dass er sich wehren würde, vermutete eher, dass

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