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Totenblüte

Totenblüte

Titel: Totenblüte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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Ashworth froh war, dass seine Theorie sich doch als falsch erwiesen hatte, oder sich einfach nur darüber freute, zu seiner Frau zurückzukommen.
    «Aber da ist jemand im Haus. Ich habe Licht gesehen.»
    «Sind Sie sicher?»
    «Absolut. Ich neige nicht zu Hirngespinsten.»
    «Vielleicht doch ein Vogelkundler. Die Mitglieder haben alle einen eigenen Schlüssel. Eigentlich sollen sie der Sekretärin zwar vorher Bescheid geben, wenn sie hinfahren, aber das tun sie anscheinend nicht immer.»
    Vera sah, wie er heimlich einen Blick auf die Uhr warf, versuchte, das nicht weiter zu beachten, und schloss die Augen, um sich besser konzentrieren zu können.
    «Warum gehen wir nicht einfach rein?», schlug Ashworth vor. «Dann sehen wir ja, wer dort ist und was da vorgeht.»
    Vera kümmerte sich nicht um ihn. Ihr war es wichtig, alles ganz genau durchzudenken. Vielleicht war Samuel Parrs Kurzgeschichte über die Entführung ja bedeutungslos. Ein seltsamer Zufall. Sie war so verzweifelt darauf aus gewesen, Laura Armstrong zu finden, dass sie sich in die Irre hatte führen, von Joes Begeisterung hatte anstecken lassen. Und doch waren die Ähnlichkeiten so frappierend, so stimmig. Vera vergegenwärtigte sich das Bild auf dem Schutzumschlag, ineinanderfließende Grün- und Blautöne, wie stilisierte Wellen. Der Buchtitel hob sich weiß vor diesem Hintergrund ab. Und unten stand Parrs Name. Sie hatte sich die gebundene Ausgabe aus der Bücherei ausgeliehen. Hunderte von Menschen hatten dieses Buch gelesen.
    Doch als Vera die Augen wieder öffnete, wusste sie, wie es gewesen war. Sie hatte die ganze Zeit über recht gehabt. Was sie nicht weiter überraschte. Eigentlich hatte sie doch meistens recht.

KAPITEL DREIUNDVIERZIG 
    Vera war erleichtert, dass die Tür des Bungalows unverschlossen war. Ashworth hatte zwar nichts mehr dazu gesagt, doch sie wusste trotzdem nicht, ob er ihr das mit dem Licht wirklich glaubte. Wie sollte er auch? Als sie das fünfstrebige Tor erreichten und es behutsam aufschoben, war dahinter alles dunkel. Sie gingen über die Wiese, damitman ihre Schritte auf dem Kies nicht hörte. Das Gras war lang, Vera spürte es durch die Sandalen hindurch an den Füßen, kühl und etwas feucht. Dann zeigte sich ein schmaler Mond am Himmel, und sie begann, an ihrer eigenen Zurechnungsfähigkeit zu zweifeln. Vielleicht hatte sie ja doch nur irgendeine Spiegelung gesehen? Sie wünschte sich so sehr, dass Laura hier war. Sie warf einen Blick durch das Fenster, konnte aber im Haus nichts erkennen.
    Doch warum stand die Haustür offen, wenn niemand dort war? Vera drückte vorsichtig dagegen, bis die Tür sich einen Spaltbreit öffnete, und lauschte angestrengt. Joe Ashworth war bereits auf dem Weg um das Haus herum, nach hinten. Vera hörte keinen Laut von ihm. Sie schob die Hand durch den Türspalt, tastete an der Wand nach dem Lichtschalter. Raufasertapete, dann die glatte Kunststoffverkleidung des Schalters. Wieder versuchte sie, sich den Grundriss des Hauses vor Augen zu rufen. Sie war sich ziemlich sicher, dass es keine Diele gab. Man trat direkt ins Wohnzimmer. Dahinter lag die Küche, rechts führten zwei Türen in die Gemeinschaftsschlafräume. Vera gab Ashworth noch ein paar Minuten Zeit, um sich in Position zu bringen, dann betätigte sie den Lichtschalter und stieß die Tür weit auf.
    Die einzige Lichtquelle im Raum war eine schwache Energiesparbirne, die nackt von der Decke hing, doch einen Augenblick lang war Vera geblendet.
    «Polizei! Keine Bewegung!», rief sie blinzelnd in den Raum. Dann hörte sie von irgendwo ein Geräusch, eine Tür, die geöffnet wurde.
    Das Zimmer war leer. Es sah genauso aus, wie Vera es in Erinnerung hatte. Der Tisch am Fenster mochte früher einmal ein schönes Möbel gewesen sein; jetzt war er zerkratzt und mit den Ringen von abgestellten Kaffeetassenund Biergläsern gemustert. Zwei Stühle waren daran geschoben. Vor dem leeren Kamin standen zwei Sessel und ein abgewetztes Sofa. An den Wänden hingen Fotos von Vögeln und ein paar Bilder und Zeichnungen, allesamt bemerkenswert scheußlich. Dazu ein paar Regale mit naturgeschichtlichen Nachschlagewerken, Umgebungskarten und Bestimmungsbüchern. In den paar Sekunden, die Vera brauchte, um sich umzuschauen, tauchte Ashworth auf. Von ihm war das Geräusch gekommen, das sie gehört hatte: Er hatte die Küchentür aufgestoßen.
    Ohne ein weiteres Wort trat sie die Türen zu den Schlafsälen auf. Sie wirkten erstaunlich sauber und

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