Totenfeuer
Garten, was ja auch stimmt. Das ehemalige Bauernhaus, das er vor zwanzig Jahren in einem Anflug von Romantik gekauft hat, befindet sich seither im Zustand der Renovierung. Sicher, es ist einiges entstanden: der Kaminofen, der Wintergarten, und doch ist noch so viel zu tun. Und auch die Schafe halten ihn ziemlich auf Trab. Trotzdem – wie schön wäre es, jetzt in einem Restaurant zu sitzen, in Erwartung eines opulenten Menüs.
»Wer sind die Leute?«, fragt er Sabine leise, denn Köpcke hat es versäumt, ihn vorzustellen. Wahrscheinlich nimmt sein Nachbar an, dass Völxen ebenso wie er jeden im Dorf kennt, was jedoch nicht der Fall ist. Ab und zu bekommt er unfreiwillig Klatsch geboten, mit dem ihn Köpcke über den Zaun hinweg versorgt, aber meistens hört er dabei gar nicht richtig hin. Sabine Völxen, seit jeher besser ins Dorfleben integriert, klärt ihren Mann mit flüsternder Stimme auf: »Die zwei Herren am Tischende sind Gutensohn und Lammers, die haben die Jagd hier in der Gegend gepachtet. Lammers ist der Dürre mit dem Pferdegebiss, der massige Mittfünfziger mit den Hängebacken ist Gutensohn. Die Frau mit der Herta-Müller-Frisur gehört zu Lammers und die Blonde da drüben zu Kolbe, den kennst du ja.«
Wolfgang Kolbe, der eine Schreinerei im Dorf hat, ist Völxen allerdings bekannt. »Den kann ich gleich fragen, wo die Bretter für den neuen Zaun so lange bleiben.« Schweigsam, hungrig und etwas gelangweilt lauscht Völxen dem Tischgespräch.
»Hoffentlich gibt es dieses Jahr nicht gar so viele Wildschweine«, seufzt Lammers und streicht sich bekümmert über seinen sorgfältig gestutzten grauen Vollbart.
»Die Hoffnung kannst du begraben«, antwortet Karl-Heinz Gutensohn, der Völxen schräg gegenübersitzt. »Ich habe die Tage eine Bache mit neun Frischlingen beobachtet. Neun Stück!«
»Dann müsst ihr Jäger halt was dagegen tun«, fordert Jens Köpcke forsch.
»Genau. Es ist nicht lustig, wenn sie einem den Gemüsegarten umwühlen«, stößt seine Frau ins gleiche Horn und nickt dazu so heftig, dass ihr Doppelkinn bebt und ihre Glubschaugen jeden Moment aus den Höhlen zu springen drohen. Wenn es um ihre Plantage geht, versteht Hanne Köpcke überhaupt keinen Spaß.
»Das ist leichter gesagt als getan«, beteuert Schreiner Kolbe, ein großer, breitschultriger Typ mit Bauchansatz.
»Wir kommen dieses Jahr einfach nicht nach«, jammert Gutensohn. »Wir haben im Winter schon einige Nächte auf dem Hochsitz verbracht, mein Junge und ich. Aber die Biester sind scheu und verdammt schlau. Gleich morgen werde ich wieder ansitzen«, verkündet er. »Vielleicht gibt’s doch noch ’nen fetten Osterbraten.«
»Falls es heute nicht zu viele Bierchen werden«, grinst Köpcke.
»Apropos Bier«, meint Gutensohn und leert die zweite Hälfte seiner Bierflasche, ehe er in Richtung der Zelte ruft: »He, Torsten! Bring uns noch eine Lage!«
Ein großer, kräftig gebauter Junge schlurft wenig später heran und stellt neun Flaschen Gilde auf den Tisch. Gutensohn reicht seinem Sohn einen Zwanziger. »Behalt den Rest. Ist ja für eure Kasse.« Der Junge nickt und bewegt sich in Zeitlupe zurück zum Zelt.
»Die sind total übernächtigt«, stellt Frau Lammers fest. Die gut erhaltene Brünette mit der markanten Frisur ist bisher ebenso schweigsam gewesen wie das farblose Wesen neben Schreiner Kolbe.
»Die Jungs haben heute Nacht durchgemacht und das Feuer bewacht«, erklärt Wigbert Lammers und bleckt sein Pferdegebiss zu einem Lächeln, wobei er den Kopf in Richtung Grill wendet. »Unser Ole schläft beim Würstchenumdrehen auch fast ein.«
Das kann Völxen bestätigen, aber er hält den Mund, um sich nicht bei Sabine zu verraten.
»Die ganze Nacht habe ich schlecht geschlafen und Albträume gehabt, bis der Bengel heute Morgen endlich wohlbehalten zu Hause war«, bekennt Frau Lammers und seufzt so tief, dass die Härchen ihres Fuchskragens in Bewegung geraten. Bestimmt ist dieser Kragen einst quicklebendig um den Süllberg herumgestreift, vermutet Völxen, der dem Waidwerk noch nie viel abgewinnen konnte.
Jeder am Tisch weiß, worauf die Gattin des Jägers anspielt. Es herrscht ein übler Brauch, dem Nachbardorf den Brenngutstapel bereits in der Nacht vor dem Osterfeuer anzustecken. Vor einigen Jahren sind dadurch in einem Dorf bei Northeim fünf Jugendliche verbrannt, die sich zum Schlafen zwischen das gestapelte Schnittgut gelegt hatten.
»Ich dachte immer, die vielen Maisfelder sind schuld daran, dass
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