Totengeld (German Edition)
undAdrenalin. Und dass beides irgendwann nachlassen würde.
Das Mädchen stöhnte.
In diesem Sekundenbruchteil verlor ich denVorteil, der dem Mann vielleicht das Leben gerettet hätte.
Ich schaute nach unten.
Er machte einen Satz auf mich zu.
FrischesAdrenalin schoss durch meinen Körper.
Ich hob dieWaffe.
Er kam näher.
Ich zielte auf das weiße Dreieck.
Schoss.
Die Explosion war brutal laut. Der R ückstoß riss mir die Hände nach oben, aber ich blieb sicher stehen.
Der Mann sackte zu Boden.
Im Dämmerlicht sah ich das Dreieck dunkel werden. Wusste, dass R ot sich darüber ausbreitete. Ein perfekter Treffer. Das Dreieck des Todes.
Stille bis auf mein eigenes, heiseresAtmen.
Dann übernahm meinVerstand die Kontrolle über das Stammhirn.
Ich hatte einen Mann getötet.
Meine Hände zitterten. Galle stieg mir in die Kehle.
Ich schluckte. Richtete dieWaffe wieder aus und ging langsam vorwärts.
Das Mädchen lag reglos da. Ich kauerte mich hin und drückte ihr zitternde Finger an die Kehle. Spürte einen Puls, schwach, aber regelmäßig.
Ich drehte mich um. Schaute in die stummen, böswilligenAugen des Mannes.
Plötzlich fühlte ich mich erschöpft. Und war entsetzt von dem, was ich eben getan hatte.
Ich überlegte. Konnte ich in meinem Zustand gute Entscheidungen treffen? Sie auch umsetzen? Mein Handy lag zu Hause.
Ich wollte mich hinsetzen, den Kopf in die Hände stützen und denTränen freien Lauf lassen.
Stattdessen atmete ich ein paarmal tief durch, stand auf und ging durch Dunkelheit, die mir wie tausend Meilen vorkam, zurTreppe. Mit Beinen weich wie Gummi stieg ich hinauf.
VomTreppenabsatz bog ein Gang nach rechts ab. Ich folgte ihm zu der einzigen geschlossenenTür.
DieWaffe fest in einer feuchten Hand, streckte ich die andere aus und drehte den Knauf.
DieTür schwang nach innen.
Ich starrte in nacktes Grauen.
ERSTER TEIL
1
Man hat mich schon öfter gefangen gehalten. In einem Keller, im Kühlraum einer Leichenhalle, in einer Gruft unter der Erde. Es ist immer furchterregend und intensiv.Aber diese Gefangenschaft übertraf alles, was ich je an körperlichem Schmerz erlebt hatte.
Der Jurorenbereich im Gerichtsgebäude des Mecklenburg County ist so gut, wie solche Einrichtungen eben sein können – WLAN , Computer, Billardtische, Popcorn. Ich hätte eine Freistellung beantragen können. Habe ich aber nicht. Die Justiz rief, und ich kam. Brennan, die gute Staatsbürgerin.Außerdem wusste ich, dass man mich aufgrund meinesArbeitsbereichs sowieso ausschließen würde.Als ich den heutigenTag plante, hatte ich sechzig, maximal neunzig Minuten eingerechnet, in denen ich mir wahrscheinlich Plattfüße holen würde.
Von wegen Plattfüße. Beachten Sie meinen Gedankensprung. Zu meiner aufregenden beruflichen Fußbekleidung gehören atmungsaktive Goretex-Wanderschuhe und vielleicht Gummistiefel, damit man nicht im Matsch landet. Dass ich jemals mörderische High Heels kaufe, geschweige denn trage, ist so wahrscheinlich wie die Entdeckung von Gigantosaurus-Knochen hinter einem Bad Daddy’s Burger.
Meine Schwester Harry hatte mich zu zehn Zentimeter hohen Pumps von Christian Louboutin überredet. Harry ausTexas, dem Land der großen Frisuren und meilenhohen Sti lettos. Damit du professionell aussiehst, hatte sie gesagt. In verantwortlicher Position.Außerdem sind sie sechzig Prozent reduziert.
Ich muss zugeben, das glänzende Leder und die schicken Ziernähte sahen an meinen Füßen toll aus.Aber fühlte ich mich auch toll? Nicht nach drei StundenWarten.Als der Gerichtsdiener unsere Gruppe schließlich aufrief, torkelte ich fast in den Gerichtssaal, und dann, als meine Nummer aufgerufen wurde, in den Zeugenstand.
»Bitte nennen Sie Ihren vollen Namen.« Chelsea Jett, gefühlte sechs Minuten nach ihrem Juradiplom, 400-Dollar-Kostüm, teure Perlenhalskette und Stilettos, die meine alt aussehen ließen. Die frischgebackene Staatsanwältin Jett versteckte ihre Nervosität hinter einem barschen Auftreten.
»Temperance Daessee Brennan.« Mach’s für uns beide leichter. Lass mich ruck, zuck wieder gehen.
»Bitten nennen Sie IhreAdresse.«
Ich tat es. »Das ist auf Sharon Hall«, fügte ich leutselig hinzu. Ein Herrenhaus aus dem neunzehnten Jahrhundert, roter Backstein, weiße Säulen, Magnolien. Mein Häuschen ist derAnbau zur R emise, derAnnex. MehrOld South geht nicht. Doch das sagte ich alles nicht.
» Wie lange wohnen Sie schon in Charlotte?«
»Seit meinem achten Lebensjahr.«
»
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