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Totenreise

Totenreise

Titel: Totenreise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Lozano Garbala
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und das gelbliche Licht der Laternen spiegelte sich in den verglasten Eingangstüren wider, an denen sie vorbeikamen. Pfützen im Rinnstein verrieten, dass es vor Kurzem geregnet hatte.
    »Soll ich dich wirklich nicht schieben?«, fragte sie und blieb stehen. »Es macht mir nichts aus.«
    »Nicht nötig, danke.« Ihm war klar, dass er sich eine solche Schwäche nicht erlauben konnte. »Ich bin daran gewöhnt. Hast du gesehen, was ich für Arme habe?«
    Marie vergaß für einen Moment ihr Unbehagen und lachte. Dominique forderte sie auf, seinen Bizeps zu berühren.
    »Schon gut«, wehrte sie lachend ab. »Du bist stark.«
    Er machte weiter ein paar halbherzige Scherze in der leeren Straße, die für diese Uhrzeit eigentlich zu leer war. Eigentlich war dies der ›perfekte Moment‹ für einen Flirt, doch ihm war seltsam zumute. Er konnte nicht genau sagen, warum, aber seit einer Weile hatte er keine Lust mehr darauf. Er wollte ebenfalls so schnell wie möglich nach Hause.
    »Was ist los?«, fragte Marie. »Du bist auf einmal so ernst.«
    Dominique schüttelte den Kopf. »Ich habe an die Prüfungen gedacht, das ist alles.«
    Sie ließ sich nicht davon überzeugen. »Lüg mich nicht an. Ich hab selbst ein komisches Gefühl, es ist, als würde uns jemand beobachten, weißt du? Aber wahrscheinlich bilde ich mir das nur ein. Ich bin froh, dass du mich begleitest.«
    Wenn sie Angst hatte, vergrößerten sich Maries Augen und wurden noch blauer. Dominique, der sie noch ein Stückchen mehr dafür bewunderte, musste sich eingestehen, dass sie das Angstgefühl viel besser hatte benennen können als er. Genau das musste es nämlich sein: Irgendjemand folgte ihnen den ganzen Weg. Doch ganz gleich, wie oft er sich umdrehte, er konnte nichts Verdächtiges entdecken.
    »Ist es hier immer so leer?«, fragte er nervös.
    Sie zuckte mit den Schultern. »Eigentlich nicht …«
    »Beeilen wir uns«, sagte er unruhig. »Je eher wir da sind, desto besser. Es ist schon spät.«
    Gelogen. Es war nicht spät. Zumindest nicht für diese Jahreszeit. Es war erst vor einer halben Stunde dunkel geworden, und seither hatte Dominique das Gefühl, dass etwas Schlimmes passieren würde. Und sein Instinkt sagte ihm, dass sie Schutz suchen mussten. Egal wo, aber sie mussten sich in Sicherheit bringen.
    Sie setzten ihren Weg fort. Dominique schob energisch seinen Rollstuhl und zwang seine Begleiterin so, ihren Schritt zu beschleunigen. Sie sagten nichts mehr.
    »Noch vier Eingänge«, verkündete Marie.
    Dominiques Blick glitt durch die Straße, ohne irgendetwas unmittelbar Bedrohliches zu entdecken. Trotzdem verließ ihn das beklemmende Gefühl nicht. Das war ein schlechtes Zeichen.
    Ein paar Meter vor ihnen war ein Miauen zu hören. Es klang kläglich. Dominique packte Marie am Arm und zwang sie, stehen zu bleiben. Sie würden keinen Schritt weitergehen, ehe sie nicht herausgefunden hätten, wo das hergekommen war.
    »Was ist?« Sie war wie gelähmt. »Hast du was gesehen?«
    Er legte einen Finger auf die Lippen.
    Wieder ein Miauen. Jetzt konnte Dominique das graue Tier sehen, das sich auf einem Balkon im ersten Stock des nächsten Hauses befand. Doch was er sah, beruhigte ihn kein bisschen.
    Die Katze, die auf irgendwas in der Dunkelheit starrte, stand dicht an die Gebäudewand gepresst. Sie machte einen Buckel und hatte das Fell aufgestellt.
    »Siehst du etwas?«, flüsterte er und versuchte, den Katzenaugen zu folgen, ohne irgendetwas entdecken zu können. »Wenn ein Tier so ängstlich ist …«
    Marie zitterte, ohne zu begreifen, was eigentlich passierte.
    »Tut mir leid, ich sehe nichts«, flüsterte sie zurück. »Können wir vielleicht weiter? Ich möchte nach Hause …«
    Dominique hörte ihr nicht zu. Von seinem Rollstuhl aus beobachtete er unablässig den kurzen Wegabschnitt, der sie von Maries Zuhause trennte. Gegenüber, dort, wo die Katze hinstarrte, lagen mehrere Hauseingänge im Dunkeln. Versteckte sich dort jemand? Dominique war nicht gewillt, den Weg fortzusetzen.
    »Lass uns von hier verschwinden …«, sagte er mit rauer Stimme und wendete seinen Rollstuhl. »Bevor es zu spät ist.«
    »Aber ich wohne doch gleich da vorn.«
    »Herrgott, Marie, irgendetwas wartet dort auf uns. Lauf!«
    ***
    Michelle sah eine Zeit lang nur verschwommene Bilder, bevor sie wieder richtig zu sich kam. Sie blickte sich um und stellte fest, dass sie sich in einem Raum befand, der im Halbdunkel lag. Ein durchdringender, widerwärtiger Geruch stieg ihr in die

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