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Totenreise

Totenreise

Titel: Totenreise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Lozano Garbala
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Moment war gekommen, die Spur dieses schrecklichen Mordes aufzunehmen.
    »Ist hier ein Lehrer namens Henri Delaveau angekommen?«, fragte er ernst.

15
    »IHRE PRAXISERFAHRUNG IST vollkommen ausreichend«, sagte der Schuldirektor, der hinter seinem Schreibtisch saß. »Wir haben sowieso keine Zeit, ein Auswahlverfahren durchzuführen, weshalb Ihre Bewerbung wie gerufen kommt, Monsieur …«
    »Varney«, sagte der blasse Mann, der auf der anderen Seite des Schreibtischs saß. »Alfred Varney.«
    »Monsieur Varney, hat man Ihnen den Stundenplan von Monsieur Delaveau schon erläutert? Die Erwachsenenkurse beginnen ziemlich spät.«
    »Ja, ich bin im Bilde. Aber das macht nichts, ich bin es gewohnt, am Abend zu arbeiten. Es gefällt mir.«
    »Perfekt. Über das Finanzielle wissen Sie ebenfalls Bescheid. Mir tun die Umstände leid, unter denen Sie Ihren Vorgänger ersetzen müssen …«
    »Sein Tod muss ein schwerer Schlag für Sie und Ihr Kollegium sein.«
    »Das stimmt. Wir können es noch immer nicht glauben. Armer Henri, er war ein guter Lehrer.«
    »Einen Kollegen zu verlieren ist traurig. Und ein bisschen seltsam ist es schon, durch einen so tragischen Todesfall an eine Stelle zu kommen …«
    Der Direktor aber versuchte sofort Varneys Bedenken zu relativieren.
    »Sie dürfen sich für die Vorkommnisse nicht verantwortlich machen. Es war ein Zufall, mehr nicht. Wann könnten Sie denn anfangen?«
    »Gleich morgen, wenn Sie möchten. Bildung duldet keinen Aufschub.«
    »Selbstverständlich. Dann ist Ihre erste Unterrichtsstunde Geschichte.«
    »Mein Spezialgebiet«, freute sich Varney. »Ich werde Sie nicht enttäuschen, Herr Direktor.«
    »Davon bin ich überzeugt! Gutes Gelingen!«
    »Danke.«
    Delaveaus Nachfolger erhob sich. Er war groß und schlank und trug einen makellosen dunklen Anzug. Sein Gesicht mit den sanften Zügen stand im Kontrast zu seinem durchdringenden Blick. Er verabschiedete sich vom Direktor und ging zur Tür.
    »Übrigens«, sagte der Direktor, »Sie bluten ein wenig an der Unterlippe. Gleich nebenan ist ein Waschraum.«
    »Na, so was! Vielen Dank.«
    Doch Varney ging nicht zu dem Waschraum; er nahm lieber die Zunge, um sich das Blut abzulecken. Es war nicht seines.
    ***
    »Henri Delaveau? Hier heißt niemand so«, antwortete Runné. »Ist er vor Kurzem gestorben?«
    »Er wurde am letzten Freitag ermordet«, berichtete Pascal.
    »Wie seltsam«, stellte Lafayette fest. »Ein solcher Fall sorgt normalerweise für ziemliches Aufsehen, das hätten wir mitbekommen.«
    »Vielleicht hat man ihn auf dem Père Lachaise begraben …«, meinte Pascal.
    »Trotzdem wüssten wir davon«, sagte Lafayette. »Das ist wirklich seltsam. Wie schon gesagt, die Anzahl der Personen, die direkt zum Guten oder Bösen gelangen, ohne durch das Zwischenreich zu kommen, ist verschwindend gering.«
    Pascal nickte und bedauerte es, dass er nichts über den Mord in Erfahrung bringen konnte. Es wäre genial gewesen, der Polizei helfen zu können und sich auf diese Weise in einen echten Helden zu verwandeln. Michelle wäre überrascht gewesen.
    »Und wenn ich euch erzähle, wie man ihn getötet hat … Man hat ihm das ganze Blut abgesaugt! Zumindest geht so das Gerücht.«
    »Was hast du gesagt?«, fragte Lafayette. Auch die anderen horchten auf.
    »Man hat ihm das Blut abgesaugt. Anscheinend war nicht ein Tropfen mehr übrig. Ich habe ihn kaum gekannt, er unterrichtete vornehmlich am Abend. Doch es heißt, er sei ein guter Typ gewesen. Ich verstehe nicht, wie jemand ihm das antun konnte …«
    Seine Zuhörer warfen sich unruhige Blicke zu.
    »Pascal«, begann Lafayette ernst, »wir möchten dich bitten, dir deinen ersten Besuch hier ins Gedächtnis zu rufen, einverstanden?«
    Pascal nickte.
    »Von dem Moment an, als du durch die Dunkle Pforte gegangen bist, hast du da irgendjemanden bemerkt? Oder warst du die ganze Zeit … allein?«
    Die Anwesenden starrten Pascal mit ihren toten Augen an.
    »Also …«, begann er, »das Einzige, was ich zu sehen gemeint habe, waren Augen. Doch das war nur ganz kurz, vielleicht habe ich es mir eingebildet … Und ein ekelhafter Geruch war da noch. Nach Verwesung.«
    Jetzt blickte Lafayette bestürzt.
    »Pascal. Welche Farbe hatten die Augen?«
    »Gelb, daran erinnere ich mich genau. Mir war ganz schön mulmig, sie waren irgendwie … aggressiv.«
    Lafayette stöhnte, und ein entsetztes Raunen ging durch die Menge.
    »Es ist wieder passiert, wie furchtbar!«, sagte Lafayette tonlos.
    Pascal

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