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Totensonntag

Totensonntag

Titel: Totensonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Jürgen; Tewes Reitemeier
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einbruchssichere Tür schlicht und einfach mit dem Stemmeisen aufgehebelt. Die Spuren waren deutlich zu sehen.
    »Die stand sperrangelweit offen, als ich eben in den Hof kam. Hab mich schon von Weitem gewundert und mich gefragt, ob ich schon so ’n alter Schussel geworden bin, dass ich vergesse, die Tür zu schließen«, berichtete Höveken, der nach wie vor schwer atmete. »Aber dann habe ich das hier gesehen. Profis waren das nicht. Die hätten nicht so deutliche Spuren hinterlassen. Aber sie haben bekommen, was sie gesucht haben. Komm mit rein!«
    Er schob die Tür noch weiter auf und ging voran. Hilde Auffenberg hatte schon einmal dieses Sarglager besichtigt, um dem stolzen Besitzer und Freund eine Freude zu machen, aber so richtig wohl fühlte sie sich hier nicht.
    »Brauchst keine Angst zu haben«, sagte Höveken einladend. »Hier liegt kein Toter herum. Das ist mein Ausstellungsraum, diese Särge sind alle leer. Aber komm mal mit nach hinten!«
    Sie gingen um verschiedene Särge herum, die alle unterschiedlich gestaltet waren. Hilde Auffenberg fragte sich immer nach dem Sinn dieser Vielfalt, da doch alle Särge letztendlich in der Erde verschwinden und nie wieder gesehen werden. Aber diese Frage wollte sie Höveken nicht stellen. Erst recht nicht hier und jetzt. Brav trottete sie hinter ihm her bis zur Rückwand des Ausstellungsraumes.
    »Oh ja!«, rief sie aus. »Nicht zu übersehen. Da fehlt einer.«
    Hier war ein größerer freier Raum. Übrig geblieben war nur ein Schild mit der Modellbezeichnung des gestohlenen Sarges.
    »Geschmack haben sie ja bewiesen, die Ganoven«, brummte Höveken zornig. »Mein bestes und teuerstes Ausstellungsstück haben sie geklaut.«
    Hilde Auffenberg nahm daraufhin das Schild genauer in Augenschein und sah, dass es sich um das Modell »Ruhe sanft – de luxe« handelte. Als sie sich davon nicht so beeindruckt zeigte, wie Höveken es offenbar erwartet hatte, ging er zu einer hübschen alten Vitrine und zog eine Broschüre heraus.
    »Hier«, sagte er, »das ist die Produktbeschreibung des Sarges. Du wirst staunen, was der alles zu bieten hat.«
    Wenig begeistert nahm sie das Heftchen in die Hand, schaute sich die Fotos an und überflog den Text. Schon kurz darauf machte sie eine anerkennende Miene.
    »Ist ja wirklich Luxus. Massiver Ahorn, verchromte Beschläge, mit Seide ausgeschlagen. Was steht hier? Die konventionell auf Gehrung gefertigten Eckverbindungen sind durch Fingerzinken ersetzt worden, was den optischen Reiz des Modells erhöht … Und hier: Der Sarg strahlt eine besondere Ruhe, Wärme und Geborgenheit aus und unterstreicht zudem den Wunsch des Menschen, seiner Individualität Ausdruck zu verleihen. Wow! Nobel geht die Welt zugrunde. Große Beinfreiheit? Wozu ist das denn gut? Und was ist das? Rettungspaket de luxe?«
    Sie ließ kurz die Broschüre sinken und las dann weiter:
    »Einbauvorrichtung für ein Handy, mit Freisprecheinrichtung. Für den Notfall. Wer kauft denn so was?«
    »Du würdest dich wundern, wenn du Gespräche mit den Angehörigen hören könntest. Ein Sarg ist nun mal nicht nur eine schlichte Kiste zur Aufbewahrung des Verstorbenen, er ist vielmehr ein Statussymbol. Das lassen die Leute sich was kosten. Aber das ist jetzt auch nicht wichtig. Ich frage mich nur, wer den Sarg wohl gestohlen hat und warum.«
    »Wieso warum?«, fragte Hilde Auffenberg erstaunt. »Wahrscheinlich um ihn zu benutzen, was sonst?«
    Höveken winkte ab. »Viel zu auffällig! Dann hätten die Diebe einen normalen Sarg genommen. Mit diesem Exemplar hat jemand etwas ganz Besonderes vor, da bin ich mir sicher.«

22
    Karen Raabe war beharrlich. Gleich heute Morgen war sie wieder in der Kreispolizeibehörde aufgetaucht und hatte sich mit Olga in ein Zimmer gesetzt, um weiter mit ihr zu sprechen. Zwischendurch machte die Russin lange Pausen in ihrer Erzählung und starrte minutenlang gedankenverloren zur Decke. Sie schien in ihren Erinnerungen zu kramen und war bei der Fülle an Eindrücken und Erfahrungen offenbar schlichtweg überfordert, einen roten Faden in ihre Lebensgeschichte zu bringen.
    Karen Raabe kannte dieses Phänomen aus vielen Gesprächen, die sie mit Prostituierten geführt hatte. Die jungen Frauen hatten einfach schon so viel erlebt, und es war so vieles gegen ihren Willen und ihr Gefühl gelaufen, dass sie sich nur ungern mit ihrer Vergangenheit konfrontierten. Auch in ihrem eigenen Leben war nicht alles so gelaufen, wie ihre Eltern es für sie vorgesehen

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