Totensonntag
einer Gasflasche verursacht worden war. Daran gab es keinen Zweifel mehr. Aber es konnte weiterhin nur darüber spekuliert werden, was das Gas zur Explosion gebracht hatte. War es purer Zufall gewesen, oder hatte jemand das Unglück bewusst herbeigeführt? War die junge Frau einfach ungeschickt mit der Gasflasche umgegangen, oder hatte sie sich das Leben nehmen wollen?
Kloppenburg schaute auf die teure Armbanduhr, trank den Rest Kaffee und stand auf. Heute warteten einige unangenehme Arbeiten auf ihn, und er war kein Mann, der unangenehme Dinge aufschob.
Als er aus dem Badezimmer kam, begegnete ihm seine Ehefrau. Sie war alles andere als ein Morgenmensch und stand immer erst dann auf, wenn ihr Mann aus dem Haus ging. Nach einem lustlos gemurmelten Gruß verschwand sie ins Bad. Auf dem Weg nach unten hörte er, wie sie hinter ihm herrief: »Wenn du heute Abend nach Hause kommst, bin ich nicht da. Ich werde auch über Nacht weg sein. Das wird jetzt häufiger vorkommen, richte dich schon mal darauf ein!«
Kloppenburg schüttelte verärgert den Kopf. Was sollte das denn nun wieder? Wollte sie ihn eifersüchtig machen? Auf gar keinen Fall durfte er ihr das Gefühl geben, damit ins Schwarze getroffen zu haben. Deshalb rief er möglichst fröhlich und unbefangen: »Schön! Freut mich, wenn du so unternehmungslustig bist. Ich wünsche dir viel Spaß!«
Innerlich sah es in ihm ganz anders aus. Wütend riss er die Haustür auf und machte einen ebenso energischen wie schnellen Schritt nach draußen.
Im selben Augenblick spürte er einen heftigen Schmerz im Knie. Er kippte nach vorn und schlug hart auf. Einen Moment blieb er benommen liegen. Dann blickte er panisch um sich. Er befand sich in einer großen Kiste, die mit Seidenstoff ausgeschlagen war. Unter ihm lag … ein schneeweißer Frauenkörper. Seine rechte Hand umfasste etwas Rundes und Kaltes. Es war eine entblößte Brust. Entsetzt wollte Kloppenburg sich aufrappeln, rutschte aber wieder ab und landete erneut auf der Frau, die ihn aus leeren Augenhöhlen und mit einem schrecklichen Lächeln um den Mund anstarrte. Endlich gelang es ihm, aus der Kiste herauszuklettern.
Jetzt erst erkannte er, dass es sich bei der Kiste um einen Sarg handelte. Erschrocken wischte er sich mit der Hand über die Augen, um diese Halluzination – denn es konnte sich ja nur um ein Trugbild handeln, das seinen ramponierten Nerven geschuldet war – auszuradieren und wieder klare Sicht zu bekommen. Aber es blieb dabei: Direkt vor ihm, in Längsrichtung vor der Haustür, stand ein offener Sarg. Und in dem Sarg lag dieser schreckliche weiße Frauenkörper. Nach einer Weile traute sich Kloppenburg, genauer hinzuschauen. Er stellte fest, dass im Sarg kein echter Frauenkörper lag, sondern die fast lebensgroße Marmor-Aphrodite, die bis gestern Abend noch seinen Vorgarten geziert hatte.
Während er sich sein schmerzendes Knie rieb, überlegte er fieberhaft, was er tun sollte. Wer ihm wohl dieses Monstrum aus edlem Holz vor die Tür gestellt hatte und warum, waren momentan eher zweitrangige Fragen. Er konnte unmöglich diesen schrecklichen Sarg vor seiner Haustür stehen lassen, wo ihn jeder sehen konnte. Wenn er ihn in seiner Garage verstecken könnte, dann hätte er wenigstens Zeit gewonnen und könnte am Abend in Ruhe über alles Weitere nachdenken. Probeweise versuchte er, den schweren Sarg anzuheben, brach diesen aussichtslosen Versuch aber gleich wieder ab. Und wenn er die Aphrodite herausnähme? Er versuchte es, aber eine lebensgroße Frauenfigur aus Marmor wiegt deutlich mehr als eine echte Frau mit ähnlicher Statur. Den Gedanken, einige seiner Arbeiter anzurufen, verwarf er sofort. Wie hätte er denen diese Geschichte erklären sollen? Ausgeschlossen.
Hektisch schaute er sich um. Keiner seiner Nachbarn war draußen. Also nicht lange fackeln, dachte er sich, nun wieder ganz der praktisch veranlagte Bauunternehmer. Er fasste sich mit beiden Händen eines der edlen Grifftaue und zog mit aller Kraft. Das hölzerne Ungetüm rutschte tatsächlich einige Zentimeter über das Pflaster. Aber schon nach diesem ersten Versuch musste Kloppenburg tief durchatmen und brauchte volle zwei Minuten, um sich zu erholen. Reumütig fielen ihm seine guten Vorsätze anlässlich seines letzten Geburtstages wieder ein. Gesunder leben wollte er, weniger essen und sich mehr bewegen. Er hatte sich sogar schon ein Fitnessstudio angeschaut, aber dann war immer wieder etwas dazwischengekommen.
Wieder griff er zu
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