Totensonntag
was sie noch sympathischer machte.
»Ach so, richtig, Frau Raabe!« Jetzt musste auch Schwiete lachen. »Entschuldigung. Na, jedenfalls weiß ich jetzt, warum ich der Meinung war, Sie hießen Vogel. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich würde mich gerne mit Ihnen über Olga Solowjow unterhalten.« Wieder lächelte die Frau.
»Ja, gut. Ich meine, okay. Was, meinen Sie, sollte ich über Frau Solowjow wissen, und was, meinen Sie, ist wichtig für unsere Polizeiarbeit?«
Frau Raabe berichtete kurz und präzise über die Frau, die sich noch in Polizeigewahrsam befand, ohne Vertraulichkeiten preiszugeben. Dann berichtete sie über den Club Oase.
»Ich habe noch nicht die Zustimmung von Frau Solowjow, bestimmte vertrauliche Informationen weiterzugeben. Doch wenn sie sich bereiterklärt, mit mir beziehungsweise der Polizei zu kooperieren, dann könnte es gelingen, eine Organisation zu zerschlagen, die systematisch Zwangsprostitution betreibt. Darüber hinaus macht Frau Solowjow eine gewisse Irina Koslow für den Tod von Alicija Lebedew verantwortlich. Sie behauptet, dass Alicija sich niemals umgebracht hätte. Dazu sei sie innerlich viel zu stark gewesen, Selbstmord würde nicht zu ihr passen.«
Karen Raabe machte eine Pause, um Schwiete die Möglichkeit zu geben, seine Sichtweise vorzutragen. Doch als er schwieg, fuhr die Frau mit den grünen Augen fort: »Irina Koslow ist die sogenannte Puffmutter im Club Oase, in Wahrheit aber nur ein kleines Licht. Einer der wirklichen Verbrecher, vielleicht sogar die entscheidende Person in der ganzen Geschichte, ist ein ehrenwerter Paderborner Bürger.«
»Der Name Irina Koslow ist in unseren Ermittlungen schon aufgetaucht«, bestätigte Schwiete. »Frau Koslow ist die Hauptmieterin des explodierten Hauses, gemeldet ist sie aber in der Marienloher Straße, mit derselben Anschrift wie die Oase. Als Prostituierte oder Bordellchefin wurde ihr Name aber noch nicht genannt.« Schwiete überlegte einen Moment. »Bleibt die entscheidende Frage: Wer ist der honorige Paderborner Bürger?«
»Den darf ich an dieser Stelle noch nicht ins Spiel bringen, Herr Schwiete. Olga Solowjow ist fast wahnsinnig vor Angst, was diese Person betrifft. Diese Angst war im Übrigen auch einer der Gründe, warum sie den Polizisten angegriffen hat.«
Schwiete nickte. »Wir sollten uns auf jeden Fall weiter austauschen, Frau Raabe.«
Die Frau mit den grünen Augen lächelte wieder ihr entwaffnendes Lächeln. »Austauschen klingt gut, Herr Schwiete. Bisher habe nur ich Informationen preisgegeben. Sie haben lediglich zugehört.«
Schwiete nickte. »Zuhören kann ich ganz gut, glaube ich!«, sagte er und wunderte sich im gleichen Moment über die für seine Verhältnisse kühne Antwort.
30
Seltsam, seltsam. Linda Klocke legte die Stirn in Falten und wickelte sich zerstreut eine Haarsträhne um den Zeigefinger. Gleich vormittags war sie zum Club Oase gefahren, wo sie sich im Auftrag von Schwiete nach Irina Koslow erkundigen wollte. Sie hatte ihr Auto auf dem kleinen, mit einer Holzpergola umzäunten Parkplatz abgestellt und sich dann auf den Weg zum Eingang gemacht. Dort waren ihr zwei Arbeiter aufgefallen, die gerade ein Graffiti beseitigten. Obwohl sie der Schrift offenbar schon mit Chemie und Sandstrahler zu Leibe gerückt waren, konnte man die Worte »Ruhe im Puff!« immer noch deutlich lesen. Welche verärgerte Ehefrau wohl diesen Spruch an die Wand gepinselt hatte?
An der Eingangstür des Etablissements war sie von einem mürrischen Rausschmeißer in Empfang genommen worden, der es anscheinend gar nicht gerne sah, dass eine Frau, die nicht zum Prostituiertenmilieu gehörte, den Laden betrat.
Nachdem Linda Klocke ihr Anliegen vorgetragen hatte, ließ der Gorilla sie kurz warten. Wenig später begrüßte sie ein junger Mann namens Rademacher, der sie eher an einen Bankangestellten als an den Geschäftsführer eines Bordells erinnerte. Er behandelte die Polizistin höflich und gab bereitwillig auf ihre Fragen Auskunft. Irina Koslow habe eine Wohnung in diesem Haus gemietet, erzählte er. Ihr Apartment im ersten Stock sei über eine Außentreppe zu erreichen. Frau Koslow sei jedoch die nächsten zwei Wochen noch in Urlaub. Wann genau sie zurückkomme, wusste Rademacher leider nicht. Er glaubte sich jedoch zu erinnern, dass Irina Koslow am Nikolaustag wieder da sei.
Linda Klocke starrte aus dem Fenster ihres Büros und dachte nach. Dieser Rademacher hatte versucht, den Eindruck zu erwecken, dass er nichts
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