Totensonntag
Hatzfeld wieder auf und drehte ein paar Runden um den Schreibtisch. Rademacher, der direkt vor dem Schreibtisch saß und dadurch mit umkreist wurde, fühlte sich wie hypnotisiert. Und so schreckte er regelrecht hoch, als Hatzfeld endlich wieder sprach.
»Wer hat das getan? Und warum?«
Er schien nicht wirklich eine Antwort zu erwarten, deshalb schwieg Rademacher und wartete. Als Hatzfeld weitersprach, war ihm Rademachers Anwesenheit offenbar gar nicht mehr bewusst. Er sprach mehr mit sich selbst als mit seinem Angestellten.
»Es ist ja nicht auszuschließen, dass sich einer wie Mike jemanden zum Feind macht. Vielleicht ist es eine rein persönliche Geschichte. Aber ehrlich gesagt, glaube ich das nicht so recht. Seitdem dieses Haus in die Luft geflogen ist, habe ich das Gefühl, dass sich alles gegen mich verschworen hat. Erst schießt Irina mit Kanonen auf Spatzen, verschwindet und meldet sich nicht mehr. Dann dreht Kloppenburg durch und will den Rächer für dieses dumme Mädchen spielen. Droht mir sogar, mich zu ruinieren.«
Er wanderte weiter. Für kurze Zeit umspielte ein bitteres Lächeln seine Lippen.
»Okay, ich habe ihn ja auch etwas geärgert mit diesem Sarg. Muss ihn ganz schön geschockt haben.«
Dann verdüsterte sich seine Miene wieder.
»Diese Schnapsidee, mir die Eingangstür des Clubs zumauern zu lassen, kann nur von ihm gekommen sein. Ich glaube, er wird auf seine alten Tage etwas kindisch. Verliebt sich in eine Nutte und führt sich auf wie Zorro. Wie armselig. Ich dachte, mein Bluff mit den Videos hätte ihn etwas vorsichtiger gemacht, aber mit dem Kerl muss man offenbar noch rechnen. Der ist zu allem fähig. Meinen Türsteher zusammenzuzschlagen ist ja schon Provokation genug. Aber ihm auch noch das Ohr zu halbieren … Eigentlich passt so etwas gar nicht zu Kloppenburg. Ich fürchte, er hat sich einen Kriminellen eingekauft, der nun die Drecksarbeit für ihn macht. Einer, der vor nichts zurückschreckt. Und jetzt auch noch diese Drohung gegen mich. Was ist zu tun?«
Er drehte weitere Runden. Rademacher wurde immer schwindeliger. Er hatte nur eine rudimentäre Vorstellung davon, worum sich das merkwürdige Selbstgespräch seines Chefs drehte. Klar, er hatte den denkwürdigen Auftritt dieses Herrn Kloppenburg selbst miterlebt, aber die Zusammenhänge waren ihm fremd geblieben. Mir erzählt ja keiner was, dachte er verbittert.
Hatzfeld war offenbar zu einer Entscheidung gekommen, denn er beendete seine Runden und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. »Wir müssen den Kerl stoppen! Ich muss mit ihm reden. Aber zu meinen Bedingungen und in einem Umfeld, das ich bestimme.«
Er schaute Rademacher auf eine Art und Weise an, als hätte er erst jetzt bemerkt, dass dieser Mann in seinem Büro saß.
»Wie war das mit Mike? Er kommt heute Nachmittag wieder aus dem Krankenhaus? Das passt doch gut. Also, Rademacher, heute Abend müsst ihr einen kleinen Auftrag für mich erledigen. Ich komme selbst mit und übernehme das Kommando. Aber es darf nichts schiefgehen. Klar?«
33
Ein Treffen mit Brigitte Kloppenburg passte ihr heute eigentlich ganz gut, fand Hilde Auffenberg, denn sie musste ohnehin einkaufen gehen. Allerdings hatte die Bitte ihrer Bekannten um eine erneute Unterredung sie doch ein wenig irritiert. Sicher, die beiden waren als Kolleginnen am Pelizaeus-Gymnasium recht gut miteinander ausgekommen. Aber zu einer dicken Freundschaft hatte es nie gereicht. Dafür war wohl auch der Altersunterschied zu groß gewesen. Dass Brigitte Kloppenburg ihr nun vermutlich zum zweiten Mal innerhalb von wenigen Tagen das Herz ausschütten wollte, verblüffte sie. Sie hatte Hilde Auffenberg vorgeschlagen, sich nach Unterrichtsschluss bei einem Kaffee im Marktkauf zu treffen, der nicht weit von der Schule entfernt lag.
Hilde Auffenberg war früh dran, kaufte in aller Ruhe ein und besetzte schon mal einen der kleinen Tische der Bäckereikette, die in dem Supermarkt angesiedelt war. Im Markt war wenig los, aber Hilde Auffenberg wusste, dass dies nur die Ruhe vor dem Sturm war. Jeden Mittag ab halb eins fielen die Schüler der beiden nahe gelegenen Gymnasien wie Heuschreckenschwärme in den Supermarkt ein. Innerhalb von Sekunden war er von laut gackernden und plappernden Teenagern überflutet. Schokoriegel, Kartoffelchips, Redbull-Dosen, Cola und andere Lebensmittel, die die Lernbereitschaft nachhaltig förderten, wurden den überforderten Kassiererinnen auf die Theke gelegt. Eine Viertelstunde später
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