Totentaenze
gesprochen.
In diesem Moment schaltete sich das Gerät mit lautem Knacken ab. Ich schüttelte mich unwillkürlich, und als ob ich aufwachte, sah ich plötzlich ein Mädchen vor mir stehen.
Wer war sie?
Sie trug einen schwarzen Anzug, auf den mit weißem Garn ein Skelett gestickt war.
Ich starrte sie entsetzt an. »Wer bist du?«
Das Mädchen lachte. Es klang gruselig, vor allem in Verbindung mit dem Kostüm. Als ob der Tod persönlich lachte. »Du hast dich wirklich gefürchtet, nicht wahr?«
»Wer zum Teufel bist du? Was hast du hier in meinem Zimmer zu suchen?« Die ganze Angst fiel schlagartig von mir ab und machte einer glühenden Wut Platz.
Der Blick des Mädchens flog über meine Schulter in Richtung Tür.
Alarmiert wandte ich mich um.
Laura! Sie stand in der Tür, ein Handy in der Hand.
»Weshalb seid ihr hier? Und wer hat euch erlaubt, in meinen Sachen rumzuschnüffeln?«, schrie ich wütend.
Laura sagte kein Wort. Sie sah ängstlich aus.
Und dann verstand ich.
»Du bist also Fabienne«, sagte ich zu dem Mädchen mit dem Skelettanzug.
Sie hob angriffslustig den Kopf. »Wir wissen alles über dich.«
Mein Blick folgte ihrem. Vor ihren Füßen lag mein Tagebuch.
Ich bückte mich danach, doch schnell stellte sie ihren Fuß darauf. Ein spöttisches Lächeln erschien auf ihren Lippen. Dann hob sie theatralisch die Stimme und säuselte: »Oh, ich liebe ihn so sehr. Und dieses Gefühl, als er mich küsste. Seine Lippen auf meinen. Wir können fünf ganze Tage zusammen sein. Tag und Nacht.«
Genau das hatte ich am Abend vor der Abreise in mein Tagebuch geschrieben …
»Und dass es deiner Mutter dreckig ging, das war dir wohl egal, davon steht nichts in deinem Tagebuch!« Mit blitzenden Augen schaute Fabienne mich an.
Die Spitze des Messers bohrte sich nun in meine Hand, aber ich fühlte keinen Schmerz. Am Abend vor der Klassenfahrt hatte Mami sich im Bad übergeben, aber ich hatte mir die Ohren zugehalten und mich weit weg geträumt.
»Das geht dich überhaupt nichts an«, sagte ich ganz ruhig zu Fabienne. Für einen kurzen Moment klang die Panik ab. Ich war hier niemandem Rechenschaft schuldig. Dann drehte ich mich zu Laura um, die mich mit bleichem Gesicht anstarrte. »Ich dachte, du magst mich«, sagte ich.
»Ich dachte, du magst mich«, äffte Fabienne mich nach und dann lachte sie: »Mann, war das gruselig, oder, Laura? Die Stimme einer toten Mutter am Telefon.«
Mir reichte es. »Hör auf! Hör sofort auf!«, schrie ich.
Fabienne stand vor mir in diesem Skelettkostüm und lachte sich tot. »Das war das Beste, was ich an Halloween je erlebt habe. Ich hab dich soooo lieeeb«, imitierte sie erneut den sanften Tonfall meiner Mutter.
Laura kam nun zu uns und stellte sich direkt vor den Schreibtisch, als wolle sie etwas verbergen. Ich stieß sie zur Seite. Und konnte kaum glauben, was ich dann sah. Ein Mädchen, das Gesicht weiß wie die Wand, dünn, frierend, die Augen weit aufgerissen. In der Hand ein Messer … Kurz: Ich erkannte mich!
Die beiden hatten meinen Laptop eingeschaltet und ließen die Webcam laufen. Sie zeichneten das Ganze auf – ihren makaberen Scherz gab es nun als Videoclip. Sie würden ihren Freunden zeigen, wie gut sie sich an Halloween amüsiert hatten. Welche Streiche sie mir gespielt hatten. Trick or treat, trick or treat, was Schönes her, sonst hexen wir!
Ich deutete auf den Bildschirm. »Meinetwegen könnt ihr das an alle eure Freunde verschicken! Mir doch egal!«
»Werden wir auch!«
Im nächsten Moment kam Fabienne dicht an mich heran, griff mein Handgelenk und bog es herum. »Na los!«, zischte sie. »Ritz dich doch! Da stehst du doch drauf!«
Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Ruckartig zog ich meine Hand aus ihrer Umklammerung. Lauras und Jos Worte hallten in meinem Kopf: »Wer weiß, welche Probleme DIE mitbringt … DIE ist garantiert asozial …Sie haben gesagt, wir sollen ganz normal mit dir umgehen …«
Laura hatte es also nicht für sich behalten können, wie ihre neue Schwester so tickte, und hatte es gleich ihrer Freundin erzählt.
»Du bist ganz schön assi!« Fabienne spuckte mir ihre Worte förmlich ins Gesicht.
Fassungslos sah ich Laura an – meine kleine Schwester – und hoffte auf ihre Unterstützung. Doch sie schaute nur verlegen weg.
»Na los, füg deinen hübschen, zarten Unterarmen noch ein paar nette rote Linien hinzu«, hörte ich wieder die Stimme.
Das Messer schwebte über meinem Arm. Vielleicht sollte ich es tun. Und diesmal
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