Toter geht's nicht
Ruhe.
Privat haben wir uns nie getroffen, was ich bedaure, aber doch nie änderte. Vielleicht ist mein schlechtes Gewissen ein Hinderungsgrund.
«Hast du nachher Zeit?», fragt er mich. «Ich würde gerne persönlich mit dir reden. Ich treffe mich gleich mit Frank Drossmann in Gießen und könnte dann auf der Rückfahrt in Bad Salzhausen vorbeikommen.»
«Das ist gut, ja. Beim Italiener?», schlage ich vor. «Ruf an, wann du da sein kannst.»
Zwei Stunden später sitze ich bei Antonio in der einzigen Bad Salzhäuser Pizzeria. Antonio ist das personifizierte italienische Klischee. Schon alleine, dass er Antonio heißt. Sein Lokal nennt sich folgerichtig «Da Antonio».
Er singt gerne und meistens «O Sole mio», sagt ständig prego, grazie, Grappa und Mama, rollt ausgiebig das r und dehnt die Vokale extrem aus. An der Wand hängen kitschige Adria-Bilder und ein Mannschaftsfoto des AC Mailand. Von Antonio wird jeder bereits während des zweiten Besuches in seinem Restaurant zum Stammgast zurechtgeduzt. Ich bestelle natürlich einen Chianti und warte auf Markus. Ich werde ihm sagen, dass er die Leitung der Ermittlungen allein übernehmen solle, da er auf mich nicht bauen könne. Noch weniger als sonst. Dass ich ihm helfen würde, so gut es geht. Und dass ich bei Onkel Ludwig, dem Kriminaloberrat, ein gutes Wort für ihn einlegen würde. Das hat er zwar nicht nötig, er wird auch so seinen Weg gehen, aber es soll meine Dankbarkeit und meinen guten Willen unterstreichen. Ich werde ihm offen und ehrlich mein persönliches Fiasko darstellen, denke ich, während ich an dem säuerlichen Rotwein nippe.
Dann betritt Markus das Lokal. Antonio begrüßt ihn herzlich, und während sie sich gegenüberstehen, stelle ich fest, dass sich Antonios Nase ungefähr auf Höhe von Markus’ Bauchnabel bewegt. Denn Antonio ist selbstverständlich auch klein.
«Ich erzähle dir am besten erst einmal von diesem Frank Drossmann», sagt Markus, als er am Tisch Platz genommen und einen Apfelsaft bestellt hat. «Affelsaff», wie Antonio sagt. Markus gehört zu den wenigen Traditionalisten, die noch puren Affelsaff trinken und keine Affelsaffschorle.
«Das ist ein ganz eigenartiger Typ, dieser Drossmann junior», fährt Markus fort. «Ein absoluter Eigenbrötler. Total introvertiert. Der redet nichts. Als ich ihm die traurige Nachricht vom gewaltsamen Tod seines Vaters überbracht habe, hat er nur ‹Hm!› gesagt, keine Miene hat der verzogen! Er wirkte weder geschockt noch traurig, noch sonst irgendwas. So was habe ich echt noch nicht erlebt.»
«Meinst du, er hat etwas damit zu tun?», frage ich.
«Kann ich mir nicht vorstellen. Warum sollte er seinen Vater ausgerechnet beim Faschingsumzug in Nidda erschlagen? Er wäre auch den ganzen Tag zu Hause gewesen, meint er. Zum Vater hätte er seit Jahren kaum noch Kontakt. Das war auch so fast das Einzige, was er gesagt hat. Es hätte keinen Krach gegeben, man hätte sich halt auseinandergelebt, seit die Mutter vor sechs Jahren gestorben sei.»
Während ich Markus so zuhöre, merke ich wieder, wie egal es mir ist, wer diesen Drossmann erschlagen hat. Ich habe andere Sorgen.
«Andere nahe Familienangehörige gibt es nicht», fährt Markus fort. «Die haben ja früher in Schotten gewohnt. Das ist der einzige Anhaltspunkt. Der alte Drossmann war früher im Schottener Karnevalsverein aktiv. Da wird man dann wohl ansetzen müssen.»
«Ja, das wird man dann wohl …», sage ich, ehe eine längere Stille einsetzt, die jäh von Antonios «O Sole mio» aus der Küche unterbrochen wird.
In diesem Moment vibriert es in meiner Hose, und mir wird wieder klar, dass das Smarteste in meinem Leben derzeit mein Phone ist.
Es meldet sich Petra.
«Petra», überplärre ich Antonios Gesang. «Moment, Moment, ich kann hier schlecht reden», stammele ich nervös, während Antonio die Al-Bano-und-Romina-Power-CD aus den achtziger Jahren einschiebt, um auch das letztverbliebene Klischee noch zu erfüllen.
«Äh, Markus, sorry», sage ich und fuchtele dabei nervös mit den Armen herum, «aber ich muss ein lebenswichtiges Telefonat führen. Lass uns unser Gespräch morgen führen …»
«Ja, aber …», versucht Markus einzuwenden. Doch da habe ich ihn schon mit dem Handy in der Hand und einem «Felicità» in den Ohren sitzengelassen.
Bei Petra wollte Franziska eine Nacht bleiben, ehe sie in eine Klinik, in eine Kur oder wo auch immer hingeht.
«Petra, gut, dass ihr anruft», hechle ich aufgeregt ins
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