Toter geht's nicht
aus wie Avatare, was zumindest Laurin toll findet. Außerdem fällt die Unschärfe nicht mehr ganz so auf, meine ich wenigstens.
Ich bin zu müde, um müde zu sein, und liege erstarrt auf dem Sofa. Nur der Daumen auf der Fernbedienung bewegt sich noch und erzeugt ein Programm, auf dem nackige Frauen albern durch eine Turnhalle hüpfen und mit falschen Brüsten Basketball spielen. Ich möchte mich nie so einsam fühlen, dass ich solche Bilder irgendwann einmal anregend finde, denke ich und schlafe auf dem Sofa ein.
In der Nacht wache ich nassgeschwitzt auf. Zwei Dinge schwirren wirr in meinem Kopf herum. Zum einen die Vorstellung, dass Franziska sich auf unbestimmte Zeit verabschiedet hätte und ich alleinerziehend einen Mordfall aufklären müsste, zum anderen, wie nackige Basketbälle mit Brüsten in hüpfenden Turnhallen mit Frauen spielen. Ich frage mich, was von beiden Szenarien der Traum war, entscheide mich für Ersteres, schlafe wieder ein, um am nächsten Morgen mit der bitteren Erkenntnis aufzuwachen, dass ich mich geirrt habe.
Die Kriminalpolizei in Alsfeld wird an ebendiesem Morgen um neun Uhr zunächst einmal von Berlusconi nach allen Regeln der Kunst bepinkelt. Berlusconi war bis dato noch nie hier und muss aus diesem Grund sein Hunderevier im Polizeirevier markieren. Schade, dass er nicht auf «Fass» hört, denke ich, als mein Freund Teichner das Büro betritt. Auch Onkel Kriminaloberrat Ludwig ist anwesend. Er scheint die Wichtigkeit des Falles uns allen verdeutlichen zu wollen. Die Einrichtung unseres Büros hätte auch ich noch hinbekommen. Es stehen drei karge Schreibtische mit ein paar Stühlen herum, an den Wänden hängen Kalender, Einsatzpläne und Straßenkarten und an den milchigen Fenstern verknickte Rollos. Das war’s. Markus Meirich wollte einmal Pflanzen mitbringen, hat es allerdings immer wieder vergessen. Teichner und ich haben ihn aber auch nicht daran erinnert.
Onkel Ludwig, der es immer gut mit mir meinte und selber gerne einen Sohn gehabt hätte, es allerdings nur zu vier Töchtern und neun Enkeltöchtern brachte, erhob seine für seine massige Statur viel zu mickrige Stimme, um Teichner und mir einen guten Morgen zu wünschen.
«Leider hat sich der Kollege Meirich bis zum Ende der Woche krankschreiben lassen, zum natürlich ungünstigsten Zeitpunkt. Das heißt, Henning, du und Kollege Teichner, ihr müsst das diese Woche alleine reißen.»
Ich werde blass, und Berlusconi furzt.
Markus Meirich krank? Das kann nicht sein. Markus wird nicht krank. Der ist immer gesund. Wenn der mal fehlt, dann nur weil er Urlaub macht oder seine Oma gestorben ist. Warum denn das jetzt auch noch bitte? Onkel Ludwig faselt noch irgendetwas von Druck von oben und einem hohen öffentlichen Interesse an diesem Fall. Ich höre aber nicht mehr zu. Irgendetwas schwappt dann zu mir herüber. Es ist Teichners Schleim: «Machen Sie sich mal keine Sorgen, Herr Kriminaloberrat, auch ohne den Kollegen Meirich wird das hier gewuppdiwuppt. Und wenn ich hier die nächsten Wochen einziehe.»
«Na, dann mal an die Arbeit», piepst Onkel Ludwig väterlich, während er den Raum verlässt.
Mir fällt mein überstürzter Abgang von gestern Abend ein, als ich Markus bei Antonio habe sitzenlassen. Ich hätte mit Petra telefonieren und dann in Ruhe zu Markus an den Tisch zurückgehen sollen. Ich hätte ihm dann meine Lage schildern sollen. Hätte hätte Damentoilette. Ich verspüre ein schlechtes Gewissen und freue mich darüber. Endlich mal wieder ein Gefühlszustand, der mir vertraut ist. Damit kenne ich mich aus, da bin ich Fachmann. Ich denke darüber nach, bei Markus anzurufen, mich zu entschuldigen und mich nach seinem Befinden zu erkundigen. Ich entscheide mich dagegen. Es könnte wie Kontrolle daherkommen, da ich ja in gewisser Weise sein Vorgesetzter bin.
Das Telefon klingelt. Ich hasse es, im Großraumbüro zu telefonieren. Ich fühle mich dann immer von meinen Kollegen kontrolliert und beobachtet. Und bei Teichner fühle ich mich nicht nur so. Noch schlimmer ist es, wenn ich mit Markus oder Teichner zur gleichen Zeit telefonieren muss. Dann höre ich immer bei den Gesprächen der anderen zu und nicht bei meinem eigenen. Wie bei Partys, wenn sich auf engem Raum unzählige Grüppchen bilden und in gleicher Lautstärke mehrere Gespräche laufen. Dann verstehe ich nichts mehr, nicke nur noch in mein Grüppchen hinein und grinse blöd. Ich telefoniere auch sonst sehr ungern. Es verunsichert mich, meinen
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