Toter geht's nicht
Telefon. Sie möge mir doch bitte gleich Franziska geben, sage ich forsch, während ich in meinen Golf-Diesel-Kombi steige.
«Pass auf, Henning, die Fransi will nicht mit dir sprechen. Ich soll dir nur was ausrichten.»
Ich hasse die Kurzform «Franzi» für den Namen meiner Frau. Aber «Fransi» mit stimmhaftem «s», das klingt noch schlimmer. Petra ist Franziskas älteste und vermutlich treueste Freundin. Die zwei kennen sich seit dem Kindergarten, waren bis zum Abitur in einer Klasse, und nun unterrichten sie auch noch beide im Gymnasium Nidda. Immerhin aber haben sie in verschiedenen Städten unterschiedliche Fächer studiert und unterschiedliche Männer geheiratet. Franziska belegte die Fächerkombination Deutsch und Musik in Marburg, Petra Erdkunde und Biologie in Gießen. Franziska heiratete mich und Petra den Oliver. Ich finde Petra eher mittel – ach was, sie ist eine unglaublich altkluge, besserwisserische blöde Kuh. Sie hat eine leicht quäkende Stimme, aber dafür kann sie ja leider fast nichts. Petra redet immer über Schule. Mit allen und immer. Sie leidet unter dem schlechten Ruf ihres Berufsstandes und fühlt sich aus diesem Grund genötigt, alle ihre beruflichen Arbeitsschritte der Welt stöhnend mitzuteilen. Sie klagt stets über die lauten, frechen und unterrichtsstörenden Jungs und würde am liebsten per Lehrplan die Pubertät abschaffen.
Ihr Mann Oliver redet nicht. Braucht er auch nicht, denn den Job übernimmt Petra für ihn mit. Einmal im Jahr treffen wir uns zu viert zum gemeinsamen Grillen. Während Petra und Franziska den Gurkensalat herrichten, lebhaft über Kollegen und Schüler lästern und den Undank der Restwelt bejammern, stehe ich mit Oliver schweigend am Schwenkgrill. Manchmal sagt er: «Und? Ist durch, oder?» Dann nicke ich meistens und sage: «Keine Ahnung.» Und dann schweigen wir weiter.
«Wie? Franziska will nicht mit mir sprechen? Ich möchte nur wissen, was sie vorhat, und kein Beziehungsgespräch führen.»
«Und genau das soll ich dir ja ausrichten», quäkt sie mir ins Ohr. «Sie ist nämlich gar nicht mehr da. Sie ist auf dem Weg nach Borkum in eine Spezialklinik.»
«Nach Borkum? Auf die Nordseeinsel?», frage ich ungläubig nach.
«Ja, genau. Wichtig ist, dass die Fransi keinen Kontakt zur Außenwelt hat. Deswegen bittet sie dich, sie nicht zu kontaktieren oder ihr nachzureisen oder Ähnliches. Zwei Briefe hat die Fransi geschrieben, einen für Melli und einen für Lauri, die schmeiß ich nachher bei euch ein.»
Meine Kinder heißen Melina und Laurin und nicht Melli und Lauri, und Franziska heißt auch nicht Fransi. Doch darum geht es jetzt nicht.
«Alles klar», sage ich nur noch und lege auf. Danke, Franziska, vielen Dank für diese Aktion und schön, dass du auch mir einen Brief geschrieben hast. Ich kämpfe ein wenig mit den Tränen, gehe aber als klarer Sieger hervor.
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7. KAPITEL
A m Abend ist nun auch noch meine Tochter weg. Ich sehe nicht ein, mir deswegen zusätzlich Sorgen zu machen. Dazu bin ich heute nicht mehr fähig. Es ist Faschingsdienstag, kurz nach zehn, morgen ist Aschermittwoch und alles vorbei – nur leider nicht die Pubertät. Und morgen ist Schule. Da gibt es die Regel, dass Melina bis sieben zu Hause zu sein hat. Nur stellt sich nun die Frage, gelten diese Regeln noch? Jetzt, wo diejenige, die diesen Regelkatalog aufgestellt hat, nicht mehr da ist? Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir gar keine Regeln aufzustellen brauchen. Ich hätte Melina sich selbst überlassen. Ihr vertraut. Muss sie denn ihr ganzes Leben kontrolliert werden? Reicht es nicht, dass wir Deppen von der Polizei ständig das, was wir so unbeholfen Rechtsstaat nennen, kontrollieren? Kann man nicht wenigstens den Jugendlichen ein paar Jahre gönnen, eine Vollmeise zu haben? Dann wäre sie halt sitzengeblieben. Dieses ständige Herumquengeln an Melina macht es doch auch nicht besser, sondern hat eher alles nur noch verschlimmert. Doch Franziska wusste es ja besser. Sie ist die Pädagogin.
Das Telefon klingelt.
«Bröhmann», melde ich mich.
«Ich bin’s, Melina. Kannst du mich holen?»
«Wo bist du denn?»
«Ey, iss doch egaaal. Kannste mich jetzt holen oder nicht?»
«Ja, kann ich.»
«Gut, bis gleich.»
«Melina?»
«Jaaa, was denn jetzt noch?»
«Denkst du wirklich, dass es egal ist, wo du bist? Meinst du nicht, dass das Abholen dadurch erleichtert werden könnte, wenn ich wüsste, wo ich hinkommen soll?»
Ich höre
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