Toter geht's nicht
Zuständigkeitsbereich, sondern nahezu vor meiner Haustür. Von Bad Salzhausen nach Nidda kann man hinüberspucken.
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4. KAPITEL
I ch steige also in meinen Dienstwagen und bekomme auf halber Strecke in Geiß-Nidda Würgereize. Ich behalte alles in mir, passiere dann das Ortsschild Nidda und fahre direkt zum Feuerwehrgerätehaus in den Burgring. Meine Kollegen sind bereits da. Markus Meirich, der mich angerufen hat, und Teichner, dessen Vornamen ich immer vergesse. Ich bin mir sicher, dass Teichner einen hat, aber er wird von allen nur Teichner genannt.
Der Tatort ist abgesperrt. Alles sieht so aus wie sonntags im «Tatort», denke ich. Schade nur, dass jetzt nicht Ballauf, Schenk, Leitmayr, Batic oder die lippenaufgespritzte Thomalla kommt, um die Sache hier in die Hand zu nehmen. An Simone Thomallas und meinem Beispiel kann man sehen, dass es sowohl im Film als auch im echten Leben bei der Besetzung des Hauptkommissars schlimme Fehlbesetzungen gibt. Ich halte meine blöde Dienstmarke hoch, um zu Markus Meirich, Teichner und der Leiche zu kommen.
Was ich dort nun auf dem Boden sehe, passt zu diesem Tag. Dort liegt der tote Tod. Toter geht’s nicht. Der Tote trägt das Kostüm des Todes, das Faschingskostüm eines Sensenmanns. Kapuze und schwarzer Umhang, und neben der Kirche liegen eine furchteinflößende Maske und die obligatorische Sense.
«Nicht anfassen», plärrt mich Teichner von der Seite an, als ich nach der Sense greifen will, ohne mir vorher Plastikhandschuhe überzuziehen
«Mann, Mann, Mann», fügt er hinzu. Es ist und bleibt immer wieder demütigend, vom eigenen Assistenten belehrt zu werden, vor allem, wenn er recht hat.
«Auch guten Tag», erwidere ich zickig, während ich Markus Meirich zur Begrüßung die Hand reiche.
Markus sagt: «Na, das wurde aber auch mal Zeit, dass es mal den Tod erwischt. Sonst sterben immer die Lebendigen.»
Markus mag ich, Teichner nicht.
Markus nennt mir die Fakten: Der tote Tod wurde hinter dem Feuerwehrgerätehaus erschlagen, vermutlich mit einer dort herumliegenden Eisenstange. Sein Name: Klaus Drossmann, 61 Jahre alt, wohnhaft in Mannheim. Papiere hatte er bei sich, es wurde ihm auch sonst nichts entwendet, sein Leben mal ausgenommen.
Nach drei Stunden Arbeit am Tatort kehre ich zurück nach Hause. Berlusconi hat auf den Teppich gepinkelt, und die Ehefrau ist fort. Umgedreht wäre zwar komisch, mir aber doch im Endeffekt lieber.
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5. KAPITEL
I ch bin eine Memme, und das aus voller Überzeugung. Dauerhaft optimistische Menschen, deren Gläser immer halb voll sind, die mit einem Lächeln im Gesicht zuversichtlich stets nach vorne schauen und nach Rückschlägen, wenn sie am Boden liegen, sofort wieder voller Tatendrang aufstehen, sind mir zunächst einmal suspekt. Ich glaube ihnen nicht. Ich bin der festen Überzeugung, dass es allen guttäte, mehr zu memmen. Allen außer mir, denn ich tue es ohnehin schon genug. Memmen darf im Übrigen keinesfalls mit schlichtem, nöligem Jammern verwechselt werden. Jammern tut man über das Wetter, den Benzinpreis, die Politiker und darüber, dass der Nachbar mehr verdient. Memmen tut man über das Leben an sich. Es geht tiefer und hat Stil. Meistens zumindest. Schwer zu beschreiben, es hat mit melancholischem Weltschmerz, Wohlstandsproblemen und sensiblen Befindlichkeiten zu tun. Es ist so etwas wie Selbstmitleid de luxe. Ich will damit nur sagen: Ich bin kein Jammerlappen, ich bin eine Memme.
Seit nunmehr 15 Jahren bin ich mit Franziska verheiratet. Franziska ist eine coabhängige Memme. Sie selbst ist natürlich keine, muss sich aber mein Memmen anhören. Mal mit mehr Mitgefühl, mal mit weniger. Früher mehr, heute weniger. Und im Moment gar nicht mehr.
Zwei Tage warte ich nun schon auf eine Nachricht, doch von Franziska ist nichts zu sehen und zu hören. Laurin ist noch immer bei Calvin-Manuel, und Melina guckt sich im Fernsehen an, wie magersüchtige Mädchen von einem dümmlichen Ex-Model mit scheppernder Stimme gedemütigt werden.
Zwei Tage ist zudem auch schon der Tod tot. Zum Glück kann man sich auf Markus Meirich wie immer verlassen. Er macht die Arbeit, die ich machen müsste. Noch mehr als sonst. Zwar war ich gestern und heute in Alsfeld im Büro, aber ich bekomme keinen klaren Gedanken gefasst. Ich werde mit Markus sprechen und ihm meine Situation schildern müssen. Vielleicht kann ich mich freistellen lassen. Wie soll ich das hier sonst auf die Reihe
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