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Traeum weiter, Mann

Traeum weiter, Mann

Titel: Traeum weiter, Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nebe
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steht der Gast aus dem Nachbarzimmer und raucht.

4
Pyjama-Party

    Ein schwerer, weißer Seenebel verpackt die Pension Möwenwind in dicke Watte, nur die erste Lampe der Dorfstraße ist noch vage als krissliger, heller Punkt zu erkennen. Gerald drückt die Zigarette am Fensterrahmen aus und schnippt sie in das Nichts unter ihm. Über dem Meer ertönt das behäbige, tiefe Horn eines großen Schiffes, es klingt dumpf wie in einem abgeschlossenen Raum mit starker Dämmung.
    Gerald legt sich auf das französische Bett, das viel zu breit für eine Person ist. Neben ihm stehen übereinander gestapelt vier riesige Koffer. Normalerweise reist er nicht mit so viel Gepäck, aber er konnte seine Kleidung ja schlecht auf der Baustelle lassen. Er hat sowohl seine Sommer- als auch die Wintersachen mitgenommen, alles, was er besitzt, außer den Schuhen, die liegen auf dem Teil des Dachbodens, der vom Brand nicht betroffen war.
    Er kann nicht schlafen, was ihm selten passiert. Missmutig starrt er auf den grünen Rumpf des Viermasters »Rickmer Rickmers«, der als großformatiges Poster an der Wand gegenüber hängt. Aus irgendeinem Grund verstärkt das Bild seine Unruhe noch. Er überlegt, ob er den Fernseher einschalten soll, lässt es aber sein. Besser, er bewegt sich etwas.
    Also zieht er sich wieder an, streift sich die wetterfeste rote Jacke mit der dicken Kapuze über und schleicht sich leise durch den Hotelflur. Draußen wird er im nächtlichen Nebel zwar nicht viel sehen können, aber wenigstens bewegt er sich in der kalten Luft, das wird ihm gut tun.
    Im Wintergarten brennt noch Licht. Er bleibt neben der dunklen Rezeption stehen und schaut ins Helle. Die Tische sind alle bereits mit weißen Tellern, lila Servietten und umgedrehten Kaffeetassen zum Frühstück eingedeckt, bis auf einen am Fenster. An dem sitzt die blonde Kellnerin über Papieren und tippt Zahlen mit ihren schlanken Fingern in einen Taschenrechner. Sie hat sich umgezogen, trägt Jeans und eine kurzärmlige dunkelblaue Bluse, die etwas altmodisch wirkt. Immer wenn sie ihre Hand auf dem Tisch ablegt, bildet sie einen kleinen Hohlraum, als befände sich darunter eine Computermaus. Müde sieht sie aus, eine Haarsträhne fällt ihr vors rechte Auge, sie bläst sie kurz weg und tippt weiter. Gerald ist fast erschrocken darüber, wie zart ihr Gesicht ohne die professionelle Kellnerinnenkleidung aussieht.
    Sie hat ihn nicht gehört.
    Plötzlich schiebt sich in ihm eine Erinnerung nach vorne, die er sofort wieder wegwischen will: Er hat diese Frau im Wintergarten schon einmal gesehen und zwar genau hier, im Nebel! Gerald neigt sonst nicht gerade zur Esoterik, er ist Baufachmann, kennt sich aus mit Trittschall, Kältebrücken, Heizungsanlagen und Dächern, und was am wichtigsten ist: Er weiß, wie man eine Schrottimmobilie mit einem Tausender für Farbe und Kleinkram zu einem Palast aufhübschen kann. Das, worauf die Käufer achten, ist auch das, worauf sie am leichtesten hereinfallen.
    Das Déjà-vu lässt sich nicht vertreiben, es verdichtet sich zur Gewissheit! Er weiß es jetzt so sicher, wie ordentlicher Mörtel Steine hält: Alles in seinem bisherigen Leben war nur dazu da, um ihn an genau diesen Punkt zu bringen, an dem er gerade steht! Dass er in seinem Heimatdorf wohnen geblieben ist, seine Maklerfirma, der Brand, alles führte zielgenau in die Pension Möwenwind , zu dieser Frau!
    Gleichzeitig verunsichert ihn das kolossal. Wie soll er jetzt damit umgehen? Gerald ist wie gelähmt, sogar das Atmen wird schwer, so etwas hat er noch nie vorher in seinem Leben erlebt! Gerald überlegt, wie es vorhin war, als sie ihm den »Chai Latte« gebracht hat. Da hat er sie zwar gesehen, aber nicht erkannt. Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr.
    Eine Diele unter dem Teppich knarrt erbärmlich, er will so schnell wie möglich abhauen.
    »Na, schlaflos?«, kommt es aus dem Wintergarten.
    Zu spät, sie hat ihn entdeckt.
    Ihre Stimme klingt müde und gleichzeitig irgendwie intim. Gerald tritt aus dem Dunkel heraus.
    »Ja«, bekennt er, weil er nicht weiß, was er sonst sagen soll.
    »Es ist noch Alkohol da«, erklärt sie, greift neben sich und stellt eine Flasche auf den Tisch. »Holen Sie sich ein Glas an der Bar, wenn Sie mögen.«
    Gerald schleicht zur Rezeption und kommt mit einem großen Wasserglas zu ihrem Tisch – eigentlich ungeeignet für einen alten Cognac. Sie kümmert das nicht, das gefällt ihm, ohne Zögern gießt sie beiden das Glas voll, dann stoßen sie an.

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