Traeume Aus 1001 Nacht Band 04
schenkte.
„Einsamkeit hat etwas für sich. Ich denke, wenn man einen Verlust erlitten hat, fühlt man sich in der Einsamkeit wohler, weil man dort niemanden verlieren kann.“
Ihre Worte trafen ihn ins Herz. Sie hatte recht. Er hatte sich nur in die Einsamkeit zurückgezogen, weil … Wortlos nahm er den Kelch aus ihren Händen entgegen, packte ihn ein und stellte ihn in den Holzkasten zurück. Er verstaute ihn im Safe und verschloss ihn.
Vom See her waren die jubelnden Rufe seiner Töchter zu hören, die dort mit Freunden aus dem Dorf spielten. Einen Moment lauschten sie beide dem Kinderspiel. Dann lächelte er Jana an. Sie sah ihn schweigend an, aber sie brauchte auch nichts zu sagen. So sorglos und unbeschwert hatte er seine Töchter nie erlebt. Er wusste auch, dass es nicht nur an den neuen Freunden lag, die sie hier gefunden hatten, sondern an ihm und an Jana, dass sie jetzt so glücklich waren.
Gemeinsam verließen sie das Zimmer und kehrten in die Küche zurück, wo sie mit den Vorbereitungen zum Mittagessen begannen. Omar bereitete es Freude, diese einfache Aufgabe mit Jana zu teilen. Heute dachte er zum ersten Mal darüber nach und begriff, dass er nicht nur die Einfachheit war, die ihn daran erfreute, sondern das Teilen.
„Wie viele sind es heute?“, fragte er und holte die Teller aus dem Schrank.
„Ich glaube, es sind nur Amir, Peroz und Maysun, aber vielleicht solltest du besser nachsehen.“
Er ging nach draußen auf die Veranda und zählte nach. Sie hat recht, dachte er. Vaterschaft kann auch Vergnügen bereiten.
Als er in die Küche zurückkehrte, sagte er: „Es sind zwei dazugekommen. Zandigay und ein Mädchen, dessen Name ich noch nicht kenne. Sollen sie alle mitessen?“
„Wir haben reichlich Suppe und ‚naan‘“, erwiderte Jana. Sie hatte sich längst der Landessitte angepasst und hielt einen großen Suppentopf auf dem Herd bereit.
Omar deckte den Tisch für neun.
„Omar“, sagte sie nach einer Weile.
„Jana?“
„Wirst du mir irgendwann erzählen, was dich von deinen Brüder entfremdet hat?“
Er stand nur einen Augenblick schweigend da, die Suppenlöffel in der Hand. „Ja, ich werde es dir erzählen“, erwiderte er.
Zum ersten Mal, seit er ihr begegnet war, hatte er sich mit Jana unterhalten wie noch mit keiner anderen Frau. Und auch mit keinem anderen Menschen. Er hatte ihr Geheimnisse und Ereignisse aus seinem Leben anvertraut … Nachdem er erkannt hatte, was mit ihm passierte, war es ihm nicht leicht gefallen, sich zurückzuhalten und ihr nicht alles auf einmal zu erzählen wie dem liebsten Menschen, den ihm das Schicksal gesandt hatte. Stattdessen versuchte er, über neutrale Themen mit ihr zu reden. Im Herzen jedoch wollte er ihr alles erzählen, von Anfang an, von seinem Kummer, seiner Freude, seinen Erfolgen und seinen Misserfolgen.
Nur mit einer anderen Frau hatte er sich so unterhalten können … mit seiner Stiefmutter. Diese geliebte Frau war die engste Ratgeberin seines Vaters gewesen, solange er lebte. Sie war jedoch gestorben, als Omar tiefunglücklich gewesen war. Seitdem hatte er niemanden mehr.
Im Falle eines Angriffs mussten sie zunächst Sicherheitsvorkehrungen für die Prinzessinnen treffen. Darüber hatten sie sich schon unterhalten und mit Baba Musa einen entsprechenden Plan abgesprochen. Doch sie mussten die Einzelheiten auch den beiden Mädchen mitteilen.
„Ich wünschte, wir bräuchten es ihnen nicht zu sagen“, meinte Jana. „Es kommt mir so vor, als nähmen wir ihnen damit das Glück, das sie hier erleben.“
„Sie sind Prinzessinnen“, erwiderte Omar. „Sie führen ein privilegiertes Leben, und das ist der Preis dafür, Jana. Es ist besser, wenn du das akzeptierst. Sie leben nun mal nicht in einem westlichen Land, wo sie verhätschelt und beschützt werden können. Das lässt sich nicht ändern.“
Sie wusste, dass er recht hatte. „Aber geh nicht härter mit ihnen um als nötig“, bat sie.
Die Prinzessinnen nahmen jedoch seine Anweisungen so gefasst auf, wie ihr Vater es erwartet hatte. Er erklärte ihnen kurz die Gefahr und den Plan, sie in Sicherheit zu bringen, in allen Einzelheiten.
„Wirst du das können, Masha?“, fragte er.
„Ja, Baba“, erwiderte die Prinzessin gelassen.
„Und du auch, Kamala?“
„Ja, Baba.“
In Janas Gegenwart wurde dieses Thema nicht wieder erwähnt.
Durch seine innere Zerrissenheit entwickelte sich aus Omars Zärtlichkeit eine heftige, zügellose Leidenschaft. Er konnte sich Janas
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