Träumst du noch oder küsst du schon?: Roman (German Edition)
Seit sechs Wochen bin ich jetzt hier, und ich kann es immer noch nicht fassen. Fast rechne ich damit, dass Carrie, Miranda, Charlotte und Samantha mir jeden Moment Arm in Arm entgegenspaziert kommen.
Ich komme aus der U-Bahn-Station und bleibe am Fußgängerüberweg stehen, um meinen kleinen Faltplan von Manhattan
zu konsultieren, den ich immer in der Handtasche habe. Manche Leute haben so ein eingebautes GPS, fast wie Katzen. Egal, wo man sie absetzt, sie finden immer wieder nach Hause zurück. Ganz im Gegensatz zu mir. Ich gehe sogar im Supermarkt verloren. Einmal bin ich über eine halbe Stunde lang um die Salatbar geirrt und habe die Kasse gesucht. Ungelogen. Seitdem kann ich keinen Krautsalat mehr sehen.
Ich drehe die Karte um und stelle sie auf den Kopf, dann drehe ich sie wieder zurück. Ich stehe total auf dem Schlauch. Ich habe mich auf einen Feierabenddrink in einer Bar in der Nähe verabredet, aber ich habe nicht den blassesten Schimmer, wo dieser Schuppen sein soll. Ratlos starre ich auf das Gitternetz der Straßen. Theoretisch mag das alles ja ganz einfach sein, aber in der Praxis verlaufe ich mich ständig. Und als sei das alles noch nicht kompliziert genug, gibt es in New York auch noch East Soundso Street und West Soundso Street. Was meinerVerwirrung die Krone aufsetzt. Ich meine, wie um alles auf der Welt soll man bitte wissen, welche Straße welche ist?
Frustriert spähe ich links und rechts die Straße entlang, und schließlich streiche ich die Segel und sage meinen kleinen Merksatz auf. Ständig bleibe ich wie angewurzelt mitten auf der Straße stehen und sage diesen Spruch auf. Sie wissen schon: »Nie ohne Seife waschen.«
»Wie bitte?«
Ich drehe mich um und sehe einen Passanten neben mir stehen, der genau wie ich darauf wartet, die Straße zu überqueren. Fragend schaut er mich an, die Stirn unter der Baseballkappe in nachdenkliche Dackelfalten gelegt.
Ach du liebe Güte, habe ich das etwa gerade laut gesagt?
»Ähm …«, stammele ich verlegen. »Nie … ähm … am Zebrastreifen«, platze ich heraus und weise auf die rote Ampel, »bei Rot die Straße überqueren. Immer brav warten, bis der kleine Mann sagt, dass man rübergehen darf.«
Verständnislos schaut er mich an. »Klar«, erwidert er skeptisch.
Er hat so einen Nuh Joahka- Akzent, der sich zieht wie Kaugummi und den man nur sehr selten hört, und mir fällt die große Videokamera auf und das Mikrofon mit dem flauschigen Überzieher, die er unter dem Arm hat. Mensch, was der wohl macht? Bestimmt dreht er einen Film oder so was richtig Cooles.
Ganz im Gegensatz zu mir, die alberne Merksätze aufsagt und daherredet wie ein Schülerlotse, wie mir siedend heiß einfällt, worauf ich knallrot anlaufe. Mich durch und durch un cool fühlend gucke ich schnell weg und bete, dass die Ampel endlich umspringen möge. »Oh, sehen Sie, jetzt können wir rübergehen«, rufe ich erleichtert, und mit einem linkischen Lächeln in seine Richtung marschiere ich entschlossen los.
Das ist typisch New York. Die Stadt strotzt nur so vor Energie und zieht Scharen hochinteressanter Menschen an. Man biegt um eine Straßenecke und stolpert über ein Filmset oder einen Straßenhändler, der irgendwelchen abgefahrenen Schmuck verkauft, oder eine Handvoll Straßenkünstler, die eine unglaubliche Hip-Hop-Show abziehen. Man weiß nie, was als Nächstes passiert.
Manchmal, spätabends, wenn ich das Empire State Building in all den verschiedenen Farben angestrahlt sehe, werde ich ganz kribbelig vor Aufregung. Vor freudiger Erwartung. Es ist wie Zauberei . Manchmal muss ich mich fast selbst zwicken. Für ein Mädel aus dem tiefsten Manchester ist das der Stoff, aus dem die Märchen sind.
Bloß dass in meinem Märchen die männliche Hauptrolle fehlt.
Ich laufe an einer ganzen Reihe von Restaurants vorbei und sehe aus den Augenwinkeln Pärchen eng nebeneinander bei romantischem Kerzenschein zu Abend essen. Es ist ein
lauer Sommerabend, und die Restaurants haben Türen und Fenster weit aufgerissen, sodass Tische und Stühle sich förmlich bis auf den Gehweg ergießen. Der Anblick versetzt mir einen kleinen Stich.
Aber das wische ich rasch beiseite.
Es war einmal, vor langer Zeit, da gab es einen Prinzen, sozusagen, aber wir haben am Ende nicht geheiratet. Zwar sind wir nicht gestorben und leben noch heute, aber eben nicht zusammen. Es gab kein Happy End für uns. Aber wie schon gesagt, das habe ich locker weggesteckt. Das ist lange her. Mein Leben ist
Weitere Kostenlose Bücher