Traum ohne Wiederkehr
selbst, aber die Loxsas blieben an ihrer Seite, jederzeit bereit, ihr weiter zu helfen, wenn sie ermüdete. Die Sonne war untergegangen und der Himmel, das sah sie, wenn sie hin und wieder den Kopf aus dem Wasser hob, um sich umzuschauen, war von einem purpurnen Abendrot gefärbt. Die Wasserwelt, durch die sie jetzt schwamm, war ihrem Tam-sin-Ich so vertraut, wie dem Tamisan-Selbst der Stock der Träumerinnen. Obgleich viele dunkle Formen durch das Wasser schnitten, wagte sich keine in ihre Nähe, nicht mit den Loxsas an ihrer Seite.
Diese Geschöpfe verfügten über eine hohe Intelligenz, aber ihr Gedankenmuster war ihrem eigenen so fremd, daß es schon eine beachtliche Anstrengung war, überhaupt Verbindung mit ihnen aufzunehmen. So hielt ihre Kommunikation sich in Grenzen. Es genügte, daß sie wußten, wohin sie wollte, das Warum interessierte sie auch gar nicht.
Der Mond ging auf, und wieder ließ sie sich von ihren schuppigen Gefährten ziehen. Plötzlich wirbelten zwei weitere ihrer Spezies aus dem Wasser. Sie übernahmen für ihre Artgenossen und zogen Tam-sin mit dem gleichen Geschick ihrem gewünschten Ziel entgegen.
Sie war hungrig und durstig, doch sie mußte die Bedürfnisse ihres Körpers vorerst zurückstellen. Wenn sie die Riffe erst erreicht hatte, konnte sie sich entspannen und brauchte nicht mehr mit ungeheuerlicher Willenskraft diese Loxsas, die ihr so sehr halfen, unter Kontrolle zu halten.
Die Zeit verlor jegliche wirkliche Bedeutung. Tam-sin hatte das Gefühl, als schwimme sie schon eine Ewigkeit. Doch als sie wieder einmal den Kopf hob, lag die dunkle Masse eines Schiffes vor ihr. Einen kurzen, atemberaubenden Augenblick dachte sie, es sei das Geisterschiff, doch dann hörte sie einen Gong schlagen und wußte, daß es ein Schiff des Seevolks war, das man zur Wache hierher abkommandiert hatte.
Sie hatte kein Verlangen danach, Zeit mit irgendeinem anderen Schiff zu verschwenden. Sie kannte nur ihr Ziel: dieses ominöse Wasserfahrzeug, das in einer Nebelwand dahintrieb. Außerdem mochte es leicht sein, wenn ein anderes Schiff sie an Bord nahm, ja selbst das Schlachtschiff ihres Lords, daß Besatzungsangehörige, die Rhuys Männer waren, sie gefangensetzten, denn sie zweifelte nicht im geringsten daran, daß der Bruder ihres Lords seine Spitzel überall hatte. Und würde sie von den Schlachtschiffen Lochacks oder Lockriss’ aufgenommen werden, mochte das Ergebnis das gleiche sein. Also blieb ihr auch gar nichts anderes übrig, als geradewegs zum Riff zu schwimmen und auf eine Chance zu warten, die grauenvolle Seefalle zu finden, die Kilwar und seine Männer verschlungen hatte.
Die Loxsas bogen jetzt nach links ab, um dem Schiff nicht zu nahe zu kommen, auch schwammen sie unter Wasser, damit sie nicht entdeckt werden konnten. Dicht vor ihnen erhoben sich Felsen, da wußte Tam-sin, daß sie den Fuß jenes Walles erreicht hatten, dessen Schroffen die Riffoberfläche bildeten. Sie veranlaßte die Loxsas, sie loszulassen, und schwamm langsam darauf zu. Mit Händen und Füßen Halt suchend, hob sie sich aus den Wellen in die Nachtluft, die ihre nackte Haut mit so eisigen Fingern berührte, daß sie erschrocken Luft holte. Dann tauchte sie wieder bis zum Kopf unter, um nicht möglicherweise von einem Beobachter an Bord mit scharfen Augen entdeckt zu werden. Schließlich atmete sie mehrmals langsam und tief ein, damit ihre Kiemen sich schließen und die Lunge ihre Tätigkeit übernehmen konnte.
Von ihrer Position aus konnte sie Lichter auf drei Schiffen sehen. Sie lagen ganz offenbar außerhalb der Gefahrenzone des Riffes vor Anker. Kein Nebel hing über dem Wasser, und sie fragte sich, ob nicht vielleicht das Geisterschiff selbst diesen Nebel herbeiführte, um dahinter das Böse zu verbergen, das es zweifellos mit sich führte.
Ihre Augen nutzten ihr jetzt nicht viel. Sie mußte mit ihrem Geist suchen, mußte damit die Hülle der Nacht durchdringen, um den Geist zu finden, mit dem sie sich verbinden konnte. Als erstes nahm sie ein schwaches, ständig wechselndes Gedankenmuster auf, das sie jedoch gar nicht zu ergründen versuchte, da sie wußte, daß es von den Loxsas kam. Nein, sie mußte ihr Geistnetz weiter auswerfen und hoffen, in ihm vielleicht einen, wenn auch nur den schwächsten Gedanken Kilwars einzufangen, um sich nach ihm richten zu können. Aber sie schien kein Glück zu haben …
Sie hatte die Grenzen einer solchen Suche ohne Verbindung erreicht. Doch da ballte sie plötzlich die
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