Traum ohne Wiederkehr
I. TEIL
TRAUM AUSSER KONTROLLE
1.
»Sie ist eine von der Ziehmam offiziell anerkannte Handlungsträumerin zehnten Grades, Lord Starrex – das ist der höchste Grad überhaupt.«
Jabis redete zuviel, er wollte unbedingt ins Geschäft kommen. Voll Verachtung verfolgte Tamisan den Handel, aber sie ließ sich nichts anmerken. Mit unbewegtem Gesicht riskierte sie hin und wieder unter halbgeschlossenen Lidern einen Blick, denn das Geschäft ging sie sehr wohl etwas an, schließlich war sie die Ware, um die man feilschte, doch sie selbst hatte nicht mitzureden.
Sie nahm an, daß dies hier ein typischer Himmelsturm war. So schlank und gut verborgen waren seine Stützen, daß er hoch über Ty-Kry zu schweben schien. Doch kein einziges Fenster gewährte einen Blick auf den wirklichen Himmel. Jedes schien sich in eine andere Landschaft zu öffnen, vermutlich Szenen von anderen Planeten. Vielleicht waren sie auch aus Traumerinnerungen oder von Träumen inspiriert.
Der Komfisessel, auf dem der Magnat halb saß, halb lag, stand auf einem lebenden Lambilgrasteppich. Jabis hatte man nicht einmal einen der ausklappbaren Wandstühle angeboten. Auch die beiden anderen Anwesenden standen. Sie waren echte Männer, keine Androiden – eine Tatsache, die darauf hinwies, daß der Magnat zur Multikreditklasse gehörte. Einer von den beiden, dachte Tamisan, ist ein Leibwächter. Der andere, der jünger und schmaler war und dessen nach unten gezogene Mundwinkel Unzufriedenheit verrieten, trug fast so kostbare Kleidung wie der Mann im Komfisessel, aber nur fast, das bedeutete, daß seine Stellung im Haus eine Spur geringer war.
Tamisan registrierte, was sie sehen konnte, und speicherte es zur eventuellen späteren Verwertung. Die meisten Träumer nahmen kaum etwas von ihrer Umwelt wahr. Sie waren viel zu sehr von ihren eigenen Kreationen gefangen, als daß sie sich für die Wirklichkeit interessiert hätten. Tamisan runzelte die Stirn. Sie war wirklich eine Träumerin, das konnten Jabis und die Ziehmam bestätigen. Das würde auch der Mann im Komfisessel bezeugen können, falls er Jabis’ Preis bezahlte. Aber sie war noch mehr, allerdings war sich Tamisan selbst nicht ganz klar, was dieses Mehr war. Jedenfalls war sie klug genug, dieses Mehr- oder Anderssein zu verbergen, seit ihr klar geworden war, daß die anderen im Ziehmamsstock nicht imstande waren, völlig aus ihren Träumen in die Gegenwart zu schlüpfen. Manche mußten sogar wie Babys gefüttert und gekleidet werden, ja, es war so, als wären sie sich ihres Körpers überhaupt nicht bewußt!
»Handlungsträumerin!« Lord Starrex bewegte die Schultern ein wenig, und sofort paßte die Polsterung des Komfisessels sich ihnen an, um maximale Bequemlichkeit zu geben. »Handlungsträumen ist ein bißchen kindisch.«
Tamisans Selbstbeherrschung war überdurchschnittlich. Ihre unbewegten Züge verrieten den aufsteigenden Ärger nicht. Kindisch, sie? Gern würde sie ihm zeigen, wie kindisch die Träume waren, die sie spinnen konnte, um einen Kunden zu fesseln. Aber Jabis störte die abfällige Bemerkung eines möglichen Käufers absolut nicht. Für ihn war es lediglich ein logischer Zug in ihrem Feilschen.
»Wenn Sie lieber eine E-Träumerin möchten …« Er zuckte die Schultern. »Sie forderten jedoch ausdrücklich eine A an.«
Er nahm sich viel heraus, fand Tamisan. War er sich dieses Lords denn so sicher? Offenbar wußte er etwas über dieses Haus, das ihm solches Selbstvertrauen verlieh, denn normalerweise strich er einem jeden kriecherisch um den Bart, wenn er sich dadurch etwas versprach.
»Kas, es war deine Idee. Was ist die Träumerin wert?« fragte Starrex gleichgültig.
Der jüngere der beiden Männer trat einen Schritt näher. Auf seine Veranlassung hatte man sie hierhergebracht. Er war Lord Kas, ein Vetter des Besitzers all dieser Pracht, doch, wie Tamisan schnell erkannt hatte, ohne in diesem Haus viel zu sagen zu haben. Es war keine Unhöflichkeit, daß Starrex im Komfisessel ruhte, sondern bedingt durch das, was die Fasseidendecke verbarg. Ein Mensch, der wahrscheinlich nie wieder ohne Hilfe gehen konnte, mochte vielleicht Vergnügen an den Fähigkeiten einer Handlungsträumerin finden.
»Sie hat eine Zehnpunktwertung«, erinnerte Kas ihn.
Die schwarzen Brauen, die Starrex’ Zügen einen strengen Ausdruck verliehen, hoben sich ein wenig. »Tatsächlich?«
Jabis nutzte schnell seinen Vorteil. »Ja, wirklich, Lord Starrex. Sie hatte die höchste
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