Traumjäger (German Edition)
standen in Toms Zimmer. Der riesige, bequeme Stuhl aus dunkelblauem Samt stand hinter dem großen Schreibtisch, auf dem es geheimnisvoll aus einem kleinen Tintenfässchen rauchte. Mir kam es vor, als wäre ich eine Ewigkeit nicht mehr hier gewesen. So viel war passiert!
An der Wand stand der Bücherschrank mit Toms liebsten Büchern. Tom legte Dorothea behutsam in den großen Stuhl. Dann ging er auf den Schrank zu und drückte einen kleinen Knopf. Ächzend schob sich der Schrank zur Seite und legte den Türeingang frei. Ich folgte Tom durch den kleinen Gang in das Uhrenzimmer. Nicky begrüßte uns freudig.
„Ich wusste, dass ihr es schaffen würdet!“, rief sie überglücklich und umarmte uns stürmisch. „Schaut euch die Uhren an! Das hat es schon lange nicht mehr gegeben!“
Tom und ich blickten auf die vielen tausend Ziffernblätter der Wanduhren, Standuhren, Armbanduhren, Taschenuhren… Die Uhren tickten. Alle Zeiger leuchteten in den fantastischsten und geheimnisvollsten Farbtönen der Traumzeit. Wie wunderbar das aussah! Wie wunderbar zu wissen, dass die Welt noch ihre Träume hatte!
Tom zog schmunzelnd die kleine Taschenuhr mit der goldenen Kette aus seiner Jackentasche. Nicky strahlte.
„Sie ist wieder hier! Ihr habt sie zurückgebracht! Wie habt ihr das nur geschafft? Oh, ihr müsst mir alles erzählen!“
Vor Freude küsste sie Tom und mich auf die Wange. Tom ging zu dem leeren Nagel an der Wand, und hängte die Kette mit der goldenen Uhr auf.
Einen kurzen Moment war es, als würde das Zimmer leuchten, als würden die Uhren im Zimmer aufatmen, tief Luft holen. Und dann fielen sie gemeinsam in das Ticken der einen Uhr ein. Gleichmäßig und ruhig.
„Das Herz der Träume schlägt wieder im Rhythmus der Traumzeit!“, freute sich Tom. Dann wendete er sich Nicky zu. „Ich werde dir später alles erklären, Nicky. Jetzt muss ich aber erst einmal unseren kleinen Helden nach Hause bringen. Bitte geh doch in mein Zimmer. Es wartet dort jemand schon so furchtbar lange auf dich. Ich komme bald zurück!“
Nicky schaute ihn verwundert an, dann lächelte sie. Ein besonderer Glanz lag in ihren Augen, und ich wusste, dass sie eine Ahnung hatte, wer auf sie wartete.
***
Tom und ich liefen über die Deiche. Die späte Abendsonne neigte sich über den Horizont und tauchte das graue, wellige Meer in satte Gelb- und Rot-Töne. Der Wind blies uns kräftig ins Gesicht. Wir lehnten uns gegen die stürmischen Böen. Irgendwo blökten ein paar Schafe. Bald schon konnte ich das Dach unseres Ferienhäuschens aufblitzen sehen. Das Dachfenster war weit geöffnet und ein Kopf schaute hinaus. Ich winkte mit beiden Armen. Meine Mutter stutzte erst, dann riss sie plötzlich beide Hände in die Höhe und verschwand vom Fenster. Einen kurzen Moment später tauchte sie auf dem Deich auf und rannte uns entgegen. Sie nahm mich fest in die Arme.
„Wo warst du nur? Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht! Wie kannst du uns nur solch einen Schreck einjagen? Gott sei Dank bist du wieder da!“ Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus.
Ich glaube, sie war sich nicht sicher, ob sie mich ausschimpfen oder sich freuen sollte. Deshalb tat sie einfach beides. Tom stand verlegen neben uns. Ich löste mich aus der Umarmung meiner Mutter und nahm seine Hand.
„Das ist Tom, Mama.“, stellte ich ihn vor. Erst jetzt schien sie ihn wahrzunehmen. Sie blickte ihn etwas verwundert an, dann lächelte sie und drückte ihm die Hand.
„Vielen Dank.“, sagte sie. „Vielen Dank, dass Sie uns unseren Andy zurückgebracht haben – wo auch immer er gesteckt haben mag! Vielen Dank, dass Sie ihn gerettet haben!“ „Nein, nein!“, lachte Tom. „Es ist doch ganz anders: nicht ich habe ihn gerettet, er hat uns gerettet! Er ist ein t…“ Tom bemerkte mein demonstratives Kopfschütteln gerade noch rechtzeitig. Meine Mutter blickte verwirrt zu ihm auf. „Er ist ein toller Junge!“, führte er den Satz zu Ende und zwinkerte mir zu. Keine Sorge , sollte das heißen, ich hätte dich nicht verraten !
Meine Mutter strahlte.
„Auf Wiedersehen, Frau Muskert. Es hat mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen.“, verabschiedete sich Tom. Gerne hätte ich ihn noch ein Weilchen bei mir gehabt, doch ich verstand, dass nun wichtigere Dinge auf ihn warteten. Er beugte sich zu mir herunter. „Bis bald, Andy.“, sagte er schmunzelnd. Damit drehte er sich um und lief den Weg zurück, den wir gekommen waren.
Auch meine Mutter und ich wandten uns zum
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