Traumland der Ambe
über den Mythor schon einiges gehört hatte, von dem er aber keine rechte Vorstellung hatte?
Er blickte nach vorne und sah, daß sie auf ein hochaufragendes Pflanzengebilde zusteuerten, das an eine zusammengekauerte menschliche Gestalt erinnerte.
»Was soll das darstellen?« erkundigte sich Mythor.
»Es ist die Laube mit Ambes zweiter Puppe«, erklärte Kalisse.
»Ich möchte landen«, sagte Mythor spontan.
Aber die Amazone lachte ihn aus.
Wir werden ja sehen, dachte Mythor bei sich. Er setzte sich neben Gerrek und flüsterte ihm zu:
»Du wirst so tun, als sei dir das Feuer ausgegangen. Mir wäre nämlich sehr an einer Zwischenlandung gelegen.«
»Nichts lieber als das.«
Kalisse bekam beinahe einen Wutanfall, als ihr Gerrek kurz darauf eröffnete, daß er nicht einmal mehr genug Feuer in sich habe, um Zunder in Brand zu setzen.
Bald darauf landeten sie nahe der Laube, in der Ambes zweite Puppe ruhte. Ohne sich um Kalisses Beschimpfungen und Drohungen zu kümmern, begab sich Mythor zu dem Pflanzenmonument. Er fand den Zugang und drang bis zu der von Dornenhecken umrankten Puppenhülle vor.
Und wie schon beim erstenmal, geriet er sogleich in den Bann der lautlosen Stimme.
4.
PUPPE 2 erzählt:
Ich erwachte aus tiefem, finsteren Schlaf und streifte das häßliche Nachtgewand ab, das mir so eng und schwer geworden war. Zwei Aasen waren mir mit flinker Hand behilflich.
»Ah«, ich seufzte wohlig und räkelte mich.
»Eslef«, stellte sich der eine Aase vor.
»Ostrib«, nannte sich der andere.
Ich verließ die Laube und badete im Sonnenlicht. Wie gut das tat nach dieser langen, finsteren Nacht!
»Wie lange habe ich geschlafen?«
»Eine kleine Ewigkeit«, sagte Eslef, und er erzählte mir, was in der Zwischenzeit alles passiert war.
Prysca trug bereits den weißen Mantel und befand sich mitten im Wettstreit um die Nachfolge der Zuma. Ihre Gegnerin war Zaems Favoritin Gaidel, eine ganz ausgekochte Hexe, wie mir Ostrib versicherte, während er mich sanft in den kleinen Teich gleiten ließ. Die Aasen wuschen und trockneten mich, badeten mich erneut und salbten mich und kleideten mich ein. Als letztes hängten sie mir den lila Mantel um und steckten mir die acht Kristallringe an die Finger, die mir Prysca zum Geschenk gemacht hatte. Es war sozusagen ihre Morgengabe für mein Erwachen. Zwischendurch erzählte mir Ostrib:
»Man hat dich mit der Goldsegel von Ascilaia nach Gavanque gebracht, damit du in Pryscas Nähe bleiben kannst. Aber du darfst nicht glauben, daß sich deine Lehrmeisterin dauernd um dich kümmern kann. Sie ist sehr beschäftigt und dauernd in magische Händel mit Gaidel verstrickt. Eine Prüfung folgt der anderen, ein Kräftemessen löst das andere ab. Mal darf Prysca die Bedingungen stellen, dann wieder ist Gaidel am Zug. Die Wettkampfordnung ist überaus kompliziert, ebenso das Punktesystem, nach dem gewertet wird. Im Augenblick liegt Gaidel knapp vorne, aber das kann sich rasch ändern. Es ist ein ziemlich ausgeglichener Wettstreit. Du hast von all dem nichts mitgekriegt, aber du hast auch nichts versäumt. Es ist ein stetes Hin und Her. Wir sind froh, daß du so gesund und wohlgestaltet aus deiner Puppe ausgeschlüpft bist. Du bist sehr schön, Ambe, weißt du das? Hast du gut geträumt?«
»Überhaupt nicht«, sagte ich kopfschüttelnd und ließ mein Haar wehen. Ich sah die Spitzen rötlich im Morgenlicht glitzern und beugte mich zum Wasserspiegel hinunter, um mich darin zu betrachten. Ein fremdes Gesicht blickte mir entgegen, das mir aber zusehends vertraut wurde. Ja, ich war schön, so schön, wie ich es mir in meinem ersten Leben immer gewünscht hatte.
»Du hast überhaupt nicht geträumt?« fragten die Aasen wie aus einem Mund. »Und trotzdem bist du so fröhlich?«
»Ich möchte nie mehr wieder schlechtgelaunt sein«, sang ich und drehte mich im Kreis. »Und jetzt möchte ich meine Puppe sehen.«
Ich warf nur einen Blick darauf und wandte mich sofort wieder angeekelt ab. Aber in den nächsten Tagen kam ich immer wieder her, bis ich mich schließlich an den Anblick gewöhnt hatte und sogar bereit war, die Ausstrahlung meiner Puppe auf mich einwirken zu lassen. Was für ein tristes Leben ich doch in dieser ersten Haut geführt hatte. Das würde sich ändern. Ich wußte, daß ich nie wieder so würde sein können wie diese andere Ambe.
Welche Lust es doch war, zu leben und sich daran zu erfreuen. Alles ringsum war Leben. Dieser Baum dort, der kecke Vogel, der in seinen Ästen
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