Traveler - Roman
leise über den Beton, während sie sich auf der rechteckigen Fläche hin und her bewegten. Zum ersten Mal hatte er das Gefühl, dass Maya ihn ansah, dass sie ihn wie ihresgleichen behandelte. Sie lächelte sogar ein paarmal, als er versuchte, einen Angriff abzublocken oder sie mit einer unerwarteten Finte zu überraschen. Unter dem weiten Himmel wirkte ihr Kampf anmutig und präzise.
DREIUNDDREISSIG
A ls sie die Staatsgrenze von Nevada erreichten, wurde es heiß. Sobald sie Kalifornien verlassen hatten, nahm Gabriel den Motorradhelm ab und warf ihn in den Lieferwagen. Er setzte eine Sonnenbrille auf und donnerte vor Maya her. Sie beobachtete, wie der Wind an seinen Ärmeln und den Beinen seiner Jeans zerrte. Sie fuhren in Richtung Südwesten, auf den Colorado und die Brücke am Davisdamm zu. Rote Felsen. Saguaro-Kakteen. Heiße Luft, die sich auf dem Asphalt spiegelte. Als sie in die Nähe einer Stadt namens Searchlight kamen, las Maya handbemalte Schilder am Straßenrand: Paradise Diner. Noch fünf Meilen. Lebender Kojote! Ihre Kinder werden begeistert sein! Noch drei Meilen. Paradise Diner. Wie wär’s mit einer Essenspause?
Gabriel machte Handzeichen – wir sollten frühstücken –, und am Paradise Diner bog er auf den staubigen Parkplatz ab. Das Restaurant sah aus wie ein Güterwagon mit Fenstern untergebracht. Auf dem Dach thronte eine riesige Klimaanlage. Den Schwertköcher auf dem Rücken, kletterte Maya aus dem Wagen und nahm das Gebäude vor dem Betreten gründlich in Augenschein. Vordereingang. Hinterausgang. Ein zerbeulter roter Pick-up parkte direkt vor dem Diner, ein weiterer, mit einer Plane abgedeckt, am Rand des Parkplatzes.
Gabriel schlenderte auf sie zu. »Ich glaube nicht, dass wir das brauchen«, sagte er und deutete auf den Schwertköcher. »Wir wollen bloß frühstücken, nicht in den Dritten Weltkrieg ziehen.«
Sie konnte sich in Gabriels Augen spiegeln. Harlequin-Wahnsinn. Ständige Paranoia. »Mein Vater hat mich gelehrt, jederzeit eine Waffe zu tragen.«
»Entspannen Sie sich«, sagte Gabriel. »Es wird schon nichts passieren.« Plötzlich sah Maya ihn auf eine neue Art, sein Gesicht, seine Augen, sein braunes Haar.
Sie drehte sich um, holte tief Luft und legte das Schwert in den Wagen zurück. Mach dir keine Gedanken, sagte sie sich. Nichts wird passieren. Trotzdem tastete sie nach den zwei Messern, die sie an den Unterarmen trug.
Der Kojote wurde in einem Zwinger vor dem Restaurant gehalten. Der Gefangene saß auf dem kotverschmierten Betonboden und hechelte in der Hitze. Maya hatte noch nie einen Kojoten zu Gesicht bekommen. Er sah aus wie ein Mischlingshund mit dem Kopf und den Zähnen eines Wolfs. Nur seine Augen wirkten wild; aufmerksam beobachtete er, wie Maya die Hand hob.
»Ich hasse Zoos«, erklärte sie. »Sie erinnern mich an Gefängnisse.«
»Aber die Leute möchten sich Tiere anschauen.«
»Bürger wollen wilde Tiere entweder töten oder in Käfige sperren. Auf diese Weise können sie vergessen, dass sie selbst Gefangene sind.«
Das Diner war ein langer, schmaler Raum mit Sitzbänken unter den Fenstern, einem Tresen mit Barhockern und einer kleinen Küche. Neben der Eingangstür plärrten drei Spielautomaten vor sich hin. Jackpot-Zirkus. Big Winner. Glücksnebel. Zwei Mexikaner in Cowboystiefeln und verstaubter Arbeitskleidung saßen am Tresen und verspeisten Rühreier und Maistortillas. Eine junge Kellnerin mit blondierten Haaren und Kittelschürze füllte Ketchupflaschen um. Maya erkannte hinter der Küchendurchreiche das Gesicht eines alten Mannes mit trüben Augen und einem ungepflegten Bart. Der Koch.
»Suchen Sie sich einen Platz aus«, sagte die Kellnerin. Maya wählte den letzten Tisch am Ende, weil er am leichtesten zu verteidigen wäre, und setzte sich mit dem Gesicht zum Eingang. Sie starrte das auf dem Resopaltisch liegende Besteck an und versuchte, den Raum in Gedanken vor sich zu sehen. Das Diner schien wie geschaffen für ihre Rast. Die beiden Mexikaner wirkten harmlos, und sie konnte jedes Auto von der Straße abbiegen sehen.
Die Kellnerin kam mit Eiswasser. »Morgen. Wollen Sie Kaffee?« Ihre Stimme klang hell.
»Nur einen Orangensaft«, sagte Gabriel.
Maya stand auf. »Wo sind die Toiletten?«
»Sie müssen außen rum gehen. Außerdem ist abgeschlossen. Kommen Sie, ich bringe Sie hin.«
Die Kellnerin – auf ihrem Namensschild stand »Kathy« – führte Maya um das Diner herum zu einer unbeschrifteten Tür, die mit Riegel und
Weitere Kostenlose Bücher