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Traveler - Roman

Traveler - Roman

Titel: Traveler - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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nichts.«
    Thorn hätte ihn auf der Stelle erstochen, aber Maya beschloss, sich nicht diesem Wahnsinn zu ergeben. Wenn sie diesen erbärmlichen Wicht umbrächte, wäre ihr jetziges Leben verpfuscht.
    »Ich verschwinde jetzt, und du gehst zurück zur Brücke. Verstanden?«
    Der Troll nickte hastig. »Ja«, flüsterte er.
    »Wenn ich dich noch einmal sehe, töte ich dich.«
    Maya verließ die Gasse und lief auf dem Bürgersteig in Richtung Kirche. Dann musste sie an ihren Vater denken. War der Troll ihr bis zu Thorns Wohnung gefolgt? Wie viel wussten seine Auftraggeber?
    Sie lief zurück zur Gasse und hörte die Stimme des Trolls. Er hielt ein Handy ans Ohr, redete brabbelnd auf seinen Boss ein. Als er sie sah, stockte ihm der Atem, und er ließ das Handy
auf das Kopfsteinpflaster fallen. Maya packte ihn an den Haaren, richtete ihn auf und schob ihm die Spitze des Stiletts ins linke Ohr. Das war der Augenblick, in dem sie der Klinge noch Einhalt gebieten konnte. Maya war sich der Wahl bewusst, die sie jetzt treffen musste, und im Geiste sah sie einen finsteren Gang vor sich. Tu es nicht, dachte sie. Noch hast du eine Chance. Aber Stolz und Zorn trieben sie voran.
    »Hör zu«, sagte sie. »Es ist das Letzte, was du je erfahren wirst. Ein Harlequin hat dich getötet.«
    Er zappelte, versuchte, sich loszumachen, doch sie stieß unbeirrbar die Klinge durch den Gehörgang in sein Gehirn.
     
    Maya ließ den Taxifahrer los, und er sackte in sich zusammen. Blut sammelte sich in seinem Mund und tropfte aus seiner Nase. Seine Augen waren weit geöffnet, seine Miene überrascht, so als hätte ihm gerade jemand eine unerfreuliche Nachricht mitgeteilt.
    Sie wischte das Stilett ab und versteckte es unter ihrem Pullover. Im Schutz des Halbdunkels zerrte sie den Toten ans Ende der Gasse und bedeckte ihn mit ein paar vollen Mülltüten aus einer Abfalltonne. Am nächsten Morgen würde jemand die Leiche finden und die Polizei rufen.
    Nicht rennen, befahl Maya sich selbst. Lass dir deine Furcht nicht anmerken. Sie bemühte sich, gelassen zu wirken, als sie erneut die Moldau überquerte. In der Konviktská angekommen, kletterte sie eine Feuerleiter zum Dach über dem Dessousladen hinauf und übersprang die anderthalb Meter breite Lücke zu Thorns Haus. Kein Oberlicht, keine Tür. Sie musste sich anders Zutritt verschaffen.
    Maya sprang zurück auf das Nachbarhaus und wanderte so lange auf den Dächern herum, bis sie eine zwischen zwei Stangen gespannte Wäscheleine fand. Sie schnitt diese ab, machte kehrt und band sie auf dem Haus ihres Vaters an einem Lüftungsrohr fest. Es war dunkel, abgesehen vom Schein einer einzelnen
Straßenlaterne und einer schmalen Mondsichel, die aussah, als wäre sie mit einem gelben Stift an den Himmel gemalt.
    Maya überprüfte die Leine, um sich zu vergewissern, dass sie halten würde. Vorsichtig überquerte sie die niedrige Mauer am Rand des Dachs und seilte sich Stück für Stück bis zum Fenster im ersten Stock ab. Sie sah, dass die Wohnung voller gräulich-weißem Rauch war. Maya stieß sich von der Hauswand ab und trat das Fenster ein. Sofort quoll Rauch heraus und löste sich in der Nachtluft auf. Wieder und wieder trat sie zu, bis sie alle scharfen Glasscherben aus dem Fensterrahmen geschlagen hatte.
    Der Rauch ist zu dicht, dachte sie. Pass auf, dass du nicht erstickst. Sie stieß sich mit aller Kraft ab und schwang sich in die Wohnung. Rauchschwaden stiegen zur Decke empor und wallten aus dem kaputten Fenster. Über dem Fußboden war etwa einen halben Meter hoch klare Luft. Maya kroch auf allen vieren durch das Wohnzimmer und entdeckte den jungen Russen tot neben dem gläsernen Couchtisch. Schusswunde in der Brust. Um seinen Oberkörper hatte sich eine Blutlache gebildet.
    »Vater!« Sie stand auf, hastete um die Trennwand herum und sah einen brennenden Stapel aus Büchern und Kissen. Vor der Küche stolperte sie über eine weitere Leiche: ein muskulöser Mann mit einem Messer im Hals.
    Hatte man ihren Vater verschleppt? Sie stieg über die Leiche und ging den Flur entlang in ein weiteres Zimmer. Ein Bett und zwei Lampenschirme brannten. Die weißen Wände waren mit blutigen Handabdrücken verschmiert.
    Neben dem Bett lag ein Mann auf der Seite. Sein Gesicht war von ihr abgewandt, aber sie erkannte die Kleidung und das lange Haar ihres Vaters wieder. Umgeben von Qualm krabbelte sie wie ein Kleinkind auf Händen und Knien zu ihm. Sie musste husten. »Vater!«, rief sie immer wieder. »Vater!« Und

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