Traveler - Roman
Das Frei-von-Furcht-Programm der Regierung hob sowohl den Nutzen für die nationale Sicherheit als auch die praktischen Vorteile einer solchen Neuerung hervor. Der PL-Chip sollte so codiert werden, dass er als Kredit- und Geldkarte verwendbar war. Wenn man einen Unfall hatte, konnten alle medizinischen Daten von dem Chip abgerufen werden. Falls alle gesetzestreuen Bürger der USA sich mit PL-Chips ausstatten ließen, würde es wahrscheinlich binnen weniger Jahre keine Straßenkriminalität mehr geben. In einer Zeitschriftenannonce beugte sich ein junges, mit PL-Chip ausgerüstetes Paar über seine schlafende Tochter, deren Teddybär den Protective-Link-Ausweis des kleinen Mädchens zwischen den Tatzen hielt. Der Slogan war simpel, aber wirksam: DEN TERRORISMUS IM SCHLAF BEKÄMPFEN.
Tausenden von Amerikanern hatte man bereits einen per Funk abfragbaren Ausweischip eingepflanzt – vor allem Rentnern und chronisch Kranken. Ähnliche Ausweise überwachten die Mitarbeiter großer Firmen. Die meisten Amerikaner schienen einem Chip, der sie vor unbekannten Gefahren schützte und an der Supermarktkasse Zeit sparte, wohlwollend gegenüberzustehen. Aber dann stieß der Protective Link auf heftige Kritik einer sonderbaren Koalition aus linken Bürgerrechtlern
und rechten Freiheitsfanatikern. Als General Nash die Unterstützung des Weißen Hauses verlor, war er gezwungen zurückzutreten.
Kaum hatte Nash die Führung der Evergreen Foundation übernommen, installierte er dort ein eigenes Protective-Link-System. Normale Angestellte konnten ihren Mitarbeiterausweis in der Hemdtasche aufbewahren oder an einem Band um den Hals tragen, aber allen leitenden Angestellten wurde ein Chip eingepflanzt. Die Narbe auf dem rechten Handrücken signalisierte ihre hohe Stellung innerhalb der Stiftung. Einmal pro Monat musste Lawrence die Hand auf ein Ladegerät legen. Ein warmes Kribbeln verriet ihm, dass dem Chip die nötige Energie übertragen wurde, um auch weiterhin Informationen zu senden.
Lawrence wünschte, er hätte schon von Beginn an gewusst, wie der Protective Link funktionierte. Durch die Informationen des GPS-Satelliten über sämtliche Bewegungen einer Person entstand ein Raster aus häufig angesteuerten Zielen. Genau wie die meisten anderen Menschen verbrachte Lawrence neunzig Prozent seiner Zeit im selben Zielraster. Er kaufte nur in bestimmten Läden ein, ging immer in dasselbe Fitnessstudio und fuhr von zu Hause ins Büro und zurück. Wäre sich Lawrence damals klar darüber gewesen, dass er durch sein Verhalten ein Raster erzeugte, hätte er während des ersten Monats nach dem Einpflanzen des Chips einige ungewöhnliche Dinge getan.
Immer wenn er sein Zielraster verließ, erschien auf seinem Computerbildschirm eine Liste mit Fragen: Warum waren Sie am Mittwoch um 21 Uhr in Manhattan? Warum haben Sie sich am Times Square aufgehalten? Warum sind Sie auf der 42. Straße zum Grand-Central-Bahnhof gefahren? Die Fragen waren computergeneriert, aber man war verpflichtet, jede einzelne zu beantworten. Lawrence hatte sich schon öfter gefragt, ob seine Antworten in einer Datei gespeichert wurden,
die niemals jemand las, oder ob ein anderes Computerprogramm sie auswertete. Wer für die Bruderschaft arbeitete, wusste nie, ob man ihn gerade beobachtete – deshalb ging man besser davon aus, dass dies ständig der Fall war.
Nachdem Lawrence sein Haus betreten hatte, entledigte er sich seiner Schuhe und seiner Krawatte und warf seine Aktentasche auf den Couchtisch. Er hatte die Einrichtung des Hauses mit Hilfe einer Innenarchitektin ausgesucht, die von der Evergreen Foundation engagiert worden war. Die Frau hatte gemeint, Lawrence sei ein »Frühlingstyp«, deshalb waren alle Möbel und Dekorationsgegenstände in aufeinander abgestimmten grünen und blauen Pastelltönen gehalten.
Wenn Lawrence endlich allein war, folgte er stets dem gleichen Ritual: Er schrie laut. Dann stellte er sich vor einen Spiegel, lächelte, runzelte die Stirn und brüllte wie ein Wahnsinniger. Nachdem sich seine Anspannung gelöst hatte, duschte er und zog sich einen Hausmantel über.
Vor einem Jahr hatte Lawrence in dem Wandschrank seines Arbeitszimmers eine Geheimkammer eingerichtet und Monate gebraucht, um den Raum zu verkabeln und ein Bücherregal mit unsichtbaren Rollen zu bauen, das den Eingang verdeckte. Vor drei Tagen war Lawrence zum letzten Mal in der Kammer gewesen, deshalb schien es wieder an der Zeit hineinzugehen. Er zog das Regal einen
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