Traveler - Roman
halben Meter von der Wand weg, schob sich durch die Lücke und knipste das Licht an. Auf einem kleinen buddhistischen Altar standen zwei Schnappschüsse seiner Eltern, beide aufgenommen vor einer heißen Quelle im japanischen Ort Nagano. Auf dem einen Foto hielten sie lächelnd Händchen. Das andere zeigte nur seinen Vater, der mit trauriger Miene in Richtung der Berge schaute. Auf einem Tisch in der Kammer lagen zwei alte japanische Schwerter: Das eine besaß einen Griff mit Verzierungen aus Jade, das andere einen mit goldenen Verzierungen.
Lawrence öffnete eine dunkel lackierte Holzkiste und holte ein Handy und einen Laptop heraus. Eine Minute später war er online und wanderte im Internet umher, bis er den französischen Harlequin namens Linden in einem Chatroom aufspürte, in dem über Trancemusik gefachsimpelt wurde.
»Hallo, hier ist Sohn von Sparrow«, tippte Lawrence ein.
»Unbedenklich?«
»Glaube schon.«
»Neuigkeiten?«
»Wir haben einen Arzt gefunden, der bereit ist, dem Probanden einen Sensor einzupflanzen. Es soll bald losgehen.«
»Noch etwas?«
»Offenbar hat das Computerteam weitere Fortschritte gemacht. Die Männer wirkten heute Mittag in der Kantine sehr fröhlich. Ich habe noch immer keinen Zugang zu ihren Forschungsergebnissen.«
»Ist man schon der beiden wichtigsten Bestandteile des Experiments habhaft geworden?«
Lawrence starrte auf den Bildschirm, dann tippte er rasch ein: »Man ist auf der Suche nach ihnen. Die Zeit wird knapp. Ihr müsst die beiden Brüder finden.«
DREIZEHN
D er Vordereingang des vierstöckigen Backsteingebäudes, in dem sich Mr. Bubbles Textilfabrik befand, war von zwei steinernen Obelisken flankiert. In der Empfangshalle standen Gipsstatuen in Form ägyptischer Grabfiguren, und die Wände des Treppenhauses waren mit Hieroglyphen bemalt. Gabriel fragte sich, ob ein Fachmann engagiert worden war, um einen echten Hieroglyphentext zu schreiben, oder ob man die Symbole einfach aus einer Enzyklopädie kopiert hatte. Wenn er nachts durch das leere Gebäude streifte, berührte er immer wieder die Hieroglyphen und fuhr mit dem Zeigefinger über ihre Umrisse.
Von Montag bis Freitag erschienen morgens die Arbeiter in der Fabrik. Im Erdgeschoss waren der Versand und die Warenannahme untergebracht. In dieser Abteilung sah man hauptsächlich junge Latinos in weiten Hosen und weißen T-Shirts. Die angelieferten Stoffe wurden mit dem Lastenaufzug zu den Zuschneidern im zweiten Stock transportiert. Momentan fertigte man Dessous an, und die Zuschneider stapelten jeweils mehrere Lagen aus Satin oder Viskose auf die großen Holztische und schnitten den Stoff mit elektrischen Scheren zurecht. Die Näherinnen im ersten Stock waren illegale Einwanderinnen aus Mexiko und Mittelamerika. Mr. Bubble zahlte ihnen zweiunddreißig Cent pro Kleidungsstück. Sie arbeiteten hart in dem staubigen Raum, lachten aber ständig oder schwatzten. Etliche hatten ein Bild der Jungfrau Maria an ihre Nähmaschine geklebt, sodass die Muttergottes über sie wachte, während sie rote Bustiers zusammennähten,
an deren Reißverschluss ein kleines goldenes Herz baumelte.
Gabriel und Michael campierten seit einigen Tagen im dritten Stockwerk, das als Abstellraum für leere Kartons und alte Büromöbel diente. Deek hatte für sie in einem Sportgeschäft Schlafsäcke und Feldbetten besorgt. Duschen gab es in dem Gebäude nicht, deshalb gingen die Brüder nachts hinunter in die Herrentoilette und seiften sich am Waschbecken ab. Zum Frühstück aßen sie Bagels oder Doughnuts. Mittags parkte ein Imbisswagen draußen vor der Fabrik, und einer der Leibwächter brachte ihnen Käse-Burritos oder Truthahn-Sandwiches in Styroporbehältern.
Tagsüber passten zwei Salvadorianer auf sie auf. Nachdem die Arbeiter Feierabend gemacht hatten, erschien Deek zusammen mit dem glatzköpfigen Latino – er hieß Jesús Morales und war früher Rausschmeißer in einem Nachtklub gewesen. Jesús verbrachte seine Zeit hauptsächlich damit, Autozeitschriften zu lesen und sich im Radio Tex-Mex-Musik anzuhören.
Wenn es Gabriel langweilig wurde und er sich unterhalten wollte, ging er nach unten und redete mit Deek. Der Spitzname des bulligen Samoaners kam daher, dass er Diakon einer fundamentalistischen Kirchengemeinde in Long Beach war.
»Jeder is’ für seine eigene Seele verantwortlich«, erklärte er Gabriel. »Wenn jemand zur Hölle fährt, dann is’ im Himmel mehr Platz für die Gerechten.«
»Und was ist, wenn du in
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