TS 57: Die Irrfahrten des Mr. Green
Fischgottheit verehren, wo sie doch mehr als fünftausend Meilen vom Meer entfernt leben und nichts darauf hindeutet, daß sie es jemals befahren haben. Und doch bestehen sie auf Salzwasserfischen und wollen sich nicht mit den Fischen der nahegelegenen Seen zufriedengeben.“
„Die Xurdimur birgt viele Geheimnisse, aber das soll uns jetzt nicht kümmern. Wißt Ihr eigentlich, daß das heilige Buch der Estoryaner frisch gefangenen und gekochten Fischen weitaus stärkere magische Kräfte beimißt als geräucherten? Trotzdem haben sie sich immer mit den Trockenfischen begnügen müssen, die ihnen die Windroller brachten. Welchen Preis würden sie wohl für lebende Seefische zahlen?“
Miran rieb sich die Hände. „Man fragt sich tatsächlich …“
In kurzen Worten umriß Green daraufhin seinen Plan. Miran hörte sprachlos zu. Nicht etwa, weil der dahinterliegende Gedanke so kühn war oder so originell, sondern gerade, weil er so auf der Hand lag, so daß er sich fragte, warum weder er noch sonst jemand je darauf gekommen war. Das sprach er auch aus.
Green nahm einen Schluck aus seinem Glas. „Vermutlich haben sich seinerzeit die Leute die gleiche Frage gestellt, als das Rad oder Pfeil undBogen erfunden wurden. So naheliegend, und doch hatte bis dahin niemand daran gedacht.“
„Um also noch einmal zu wiederholen“, sagte Miran, „ich soll eine Wagenkarawane zusammenstellen, auf den Wagen wasserdichte Tanks einbauen und in diesen Tanks Fische vom Ozean nach hier transportieren. Dann werde ich die Wagenkästen samt den Tanks auf meinen Windroller heben und in besonders vorbereitete Gestelle oder Löcher auf dem Mitteldeck einpassen lassen. Weiter willst du mir zeigen, wie man Meerwasser herstellt, damit ich die Formel an die Estoryaner verkaufen kann und sie auf diese Weise die Fische in den Tanks am Leben erhalten können.“
„So ist es.“
Miran fuhr sich mit einem dicken beringten Finger über die Hakennase und den Goldschmuck, der von ihrer Spitze herunterbaumelte. Das eine Auge funkelte Green stechend an. Das andere war von einer weißen Binde verdeckt, die das Loch verbarg, das eine Kugel aus einer Ving-Muskete gerissen hatte.
„In genau vier Wochen spätestens muß ich Segel setzen, um noch vor Einbruch der Regenzeit nach Estorya und wieder zurück zu kommen. Die Zeit würde gerade ausreichen, um die Tanks zu bauen, sie zur Küste zu schaffen, mit Fischen zu füllen und wieder zurückzubringen. Inzwischen kann das Deck umgebaut werden. Wenn meine Männer Tag und Nacht arbeiten, könnten wir es schaffen.“
„Natürlich handelt es sich hier um ein Geschäft, das sich nur einmal machen läßt. Eine neue Idee läßt sich nun einmal nicht monopolisieren. Zu viele Leute werden reden, und die anderen Kapitäne werden davon erfahren, sobald diese erste Fahrt vorüber ist.“
„Ich weiß, ich weiß. Einem Effenycan brauchst du so etwas nicht erst zu erklären. Was aber ist, wenn die Fische sterben?“
Green zuckte die Achseln und breitete die Hände aus. „Unmöglich ist das natürlich nicht. Ihr nehmt ein großes Risiko auf Euch. Doch ist nicht jede Reise durch die Xurdimur ein Risiko? Wie viele Windroller kehren zurück? Oder wie viele können sich wie Ihr vierzig erfolgreicher Reisen rühmen?“
„Nicht viele“, gab Miran zu.
Er ließ sich tiefer in seinen Sessel sinken und brütete über seinem Wein. Das gesunde Auge, das zwischen seinem dicken Fettpolster fast verschwand, schien durch Green hindurchzustarren. Der Mann von der Erde heuchelte Gleichgültigkeit, obwohl sein Herz aufgeregt klopfte und er nur mit Mühe ruhig zu atmen vermochte.
„Du verlangst viel“, sagte Miran endlich. „Wenn der Herzog dahinterkäme, wie ich einem wertvollen Sklaven zur Flucht verhelfe, würde er mich foltern lassen, den Effenycan-Klan seines Rechts berauben, Windroller zu segeln und den Klan wahrscheinlich in die heimatlichen Berge verbannen. Nur die Piraterie böte dann noch einen Ausweg, aber das ist nicht gerade ein Beruf, der seinen Mann ernährt, trotz all der abenteuerlichen Geschichten, die darüber kursieren.“
„Eure Fische würden in Estorya reißenden Absatz finden.“
„Zweifellos. Doch wenn ich daran denke, was die Herzogin tun wird, wenn sie deine Flucht entdeckt! O weh, o weh!“
„Warum sollte sie ausgerechnet Euch mit meinem Verschwinden in Verbindung bringen? Täglich verlassen ein Dutzend Fahrzeuge den Hafen. Überdies könnte ich mich genauso gut in entgegengesetzter Richtung
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