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Tschick (German Edition)

Tschick (German Edition)

Titel: Tschick (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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Fast ein Jahr lang nannten mich alle so. Sogar im Unterricht. Sogar, wenn Lehrer dabei waren. «Los, Psycho, spiel ab! Du schaffst es, Psycho! Schön den Ball flachhalten!» Und das hörte erst wieder auf, als André in unsere Klasse kam. André Langin. Der schöne André.
    André war sitzengeblieben. Er hatte schon am ersten Tag eine Freundin bei uns, und dann hatte er jede Woche eine andere, und jetzt ist er gerade mit einer Türkin aus der Parallelklasse zusammen, die aussieht wie Salma Hayek. Auch an Tatjana hat er mal kurz rumgegraben, da wurde mir wirklich anders. Ein paar Tage haben die beiden dauernd miteinander geredet, auf den Gängen, vor der Schule, am Rondell. Aber zusammen waren sie am Ende doch nicht, glaube ich. Das hätte mich umgebracht. Weil, irgendwann haben sie auch nicht mehr miteinander geredet, und kurz danach hab ich gehört, wie André Patrick erklärt hat, warum Männer und Frauen nicht zusammenpassen, wahnsinnig wissenschaftliche Theorien über die Steinzeit, über Säbelzahntiger und Kinderkriegen und alles. Und auch dafür habe ich ihn gehasst. Ich habe ihn vom ersten Moment an wahnsinnig gehasst, aber das fiel mir nicht ganz leicht. Weil, André ist nicht gerade die hellste Kerze im Leuchter, aber er ist auch nicht komplett hohl. Er kann ganz nett sein, und er hat was Lässiges, und er sieht, wie gesagt, ziemlich gut aus. Aber er ist trotzdem ein Arschloch. Zu allem Überfluss wohnt er nur eine Straße weiter von uns, in der Waldstraße 15. Wo übrigens nur Arschlöcher wohnen. Die Langins haben da ein riesiges Haus. Sein Vater ist Politiker, Stadtrat oder so was. Klar. Und mein Vater sagt: Großer Mann, dieser Langin! Weil er jetzt auch in der FDP ist. Da muss ich strahlkotzen. Tut mir leid.
    Aber ich wollte ja was anderes erzählen. Als André noch ganz neu bei uns war, waren wir einmal wandern, irgendwo südlich von Berlin. Der übliche Ausflug in den Wald. Ich lief mit großem Abstand hinter allen anderen her und guckte mir die Natur an. Weil, das war zu einer Zeit, da hatten wir gerade ein Herbarium angelegt, und ich interessierte mich eine Weile lang für die Natur. Für Bäume . Ich wollte vielleicht Wissenschaftler oder so was werden. Aber auch nicht lange, und das hing wahrscheinlich auch wieder mit diesem Ausflug zusammen, wo ich meilenweit hinter den anderen herwanderte, um mir in aller Ruhe den Blattstand und den Habitus anzugucken. Da fiel mir dann nämlich auf, dass ich mich für Blattstand und für Habitus einen Scheiß interessierte. Vorne wurde gelacht, und ich konnte das Lachen von Tatjana Cosic unterscheiden, und zweihundert Meter dahinter latscht Maik Klingenberg durch den Wald und schaut sich den Scheißblattstand in der Natur an. Die ja nicht einmal eine richtige Natur war, sondern ein mickriges Gehölz, wo alle zehn Meter drei Hinweisschilder standen. Hölle.
    Irgendwann haben wir dann bei einer dreihundert Jahre alten Weißbuche gehalten, die ein Friedrich der Große da in die Erde gepflanzt hatte, und der Lehrer hat gefragt, wer denn jetzt weiß, was das für ein Baum ist. Und keiner wusste es. Außer mir natürlich. Aber ich war auch nicht so bescheuert, dass ich vor allen Leuten zugegeben hätte, dass ich wusste, dass das eine Weißbuche ist. Da hätte ich ja gleich sagen können: Mein Name ist Psycho, und ich habe ein Problem. Allein dass wir jetzt alle um diesen Baum rumstanden und keiner wusste, was das ist, war auch wieder deprimierend. Und jetzt komme ich langsam zum Punkt. Unter dieser Weißbuche hatte Friedrich der Große nämlich noch ein paar Bänke aufgestellt, damit man sich da hinsetzen und picknicken konnte, und genau das haben wir dann auch getan. Ich saß zufällig mit am Tisch von Tatjana Cosic. Mir schräg gegenüber André, der schöne André, beide Arme rechts und links um die Schultern von Laura und Marie gelegt. Als wäre er mit ihnen dick befreundet, dabei war er mit ihnen überhaupt nicht befreundet. Er war erst höchstens eine Woche in unserer Klasse. Aber die beiden hatten auch nichts dagegen. Im Gegenteil, sie waren wie vor Glück versteinert und bewegten sich keinen Millimeter, als hätten sie Angst, Andrés Arme wie scheue Vögel von ihren Schultern zu verscheuchen. Und André hat die ganze Zeit nichts gesagt, nur mit seinem Schlafzimmerblick schlafzimmerartig in die Gegend geschaut, und dann guckte er auch einmal mich an und sagte nach langem Nachdenken in irgendeine Richtung, aber garantiert nicht in meine: «Wieso heißt der

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