Tschick (German Edition)
1
Als Erstes ist da der Geruch von Blut und Kaffee. Die Kaffeemaschine steht drüben auf dem Tisch, und das Blut ist in meinen Schuhen. Um ehrlich zu sein, es ist nicht nur Blut. Als der Ältere «vierzehn» gesagt hat, hab ich mir in die Hose gepisst. Ich hab die ganze Zeit schräg auf dem Hocker gehangen und mich nicht gerührt. Mir war schwindlig. Ich hab versucht auszusehen, wie ich gedacht hab, dass Tschick wahrscheinlich aussieht, wenn einer «vierzehn» zu ihm sagt, und dann hab ich mir vor Angst in die Hose gepisst. Maik Klingenberg, der Held. Dabei weiß ich gar nicht, warum jetzt die Aufregung. War doch die ganze Zeit klar, dass es so endet. Tschick hat sich mit Sicherheit nicht in die Hose gepisst.
Wo ist Tschick überhaupt? Auf der Autobahn hab ich ihn noch gesehen, wie er auf einem Bein ins Gebüsch gehüpft ist, aber ich schätze mal, sie haben ihn auch gekriegt. Mit einem Bein kommt man nicht weit. Fragen kann ich die Polizisten natürlich nicht. Weil, wenn sie ihn nicht gesehen haben, ist es logisch besser, gar nicht damit anzufangen. Vielleicht haben sie ihn ja nicht gesehen. Und von mir erfahren sie’s mit Sicherheit nicht. Da können sie mich foltern. Obwohl die deutsche Polizei, glaube ich, niemanden foltern darf. Das dürfen die nur im Fernsehen und in der Türkei.
Aber vollgeschifft und blutig auf der Station der Autobahnpolizei sitzen und Fragen nach den Eltern beantworten ist auch nicht gerade der ganz große Bringer. Vielleicht wäre Foltern sogar ganz angenehm, dann hätte ich wenigstens einen Grund für meine Aufregung.
Das Beste ist Klappe halten, hat Tschick gesagt. Und das seh ich genauso. Jetzt, wo eh alles egal ist. Und mir ist alles egal. Na ja, fast alles. Tatjana Cosic zum Beispiel ist mir natürlich nicht egal. Obwohl ich jetzt schon ziemlich lange nicht mehr an sie gedacht habe. Aber wo ich auf diesem Hocker hier sitze und draußen die Autobahn vorbeirauscht und der ältere Polizist steht seit fünf Minuten an der Kaffeemaschine dahinten und füllt Wasser ein und kippt es wieder aus, drückt auf den Schalter und schaut das Gerät von unten an, während jeder Depp sehen kann, dass der Stecker vom Verlängerungskabel nicht drin ist, da muss ich wieder an Tatjana denken. Denn genau genommen wäre ich nicht hier, wenn es Tatjana nicht gäbe. Obwohl sie mit der ganzen Sache nichts zu tun hat. Ist das unklar, was ich da rede? Ja, tut mir leid. Ich versuch’s später nochmal. Tatjana kommt in der ganzen Geschichte überhaupt nicht vor. Das schönste Mädchen der Welt kommt nicht vor. Auf der ganzen Reise hab ich mir immer vorgestellt, dass sie uns sehen kann. Wie wir oben aus dem Kornfeld rausgucken. Wie wir mit dem Bündel Schläuche auf dem Müllberg stehen wie die letzten Trottel … Ich hab mir immer vorgestellt, Tatjana steht hinter uns und sieht, was wir sehen, und freut sich, wie wir uns freuen. Aber jetzt bin ich froh, dass ich mir das nur vorgestellt hab.
Der Polizist zieht ein grünes Papierhandtuch aus einem Handtuchspender und gibt es mir. Was soll ich damit? Den Boden aufwischen? Er fasst mit zwei Fingern an seine Nase und sieht mich an. Ach so. Nase schnäuzen. Ich schnäuze mir die Nase, er lächelt freundlich. Das mit der Folter kann ich mir wohl abschminken. Aber wohin jetzt mit dem Taschentuch? Ich schaue suchend auf dem Boden herum. Die ganze Station ist mit grauem Linoleum ausgelegt, genau das gleiche wie in den Gängen zu unserer Turnhalle. Es riecht auch ein bisschen so. Pisse, Schweiß und Linoleum. Ich sehe Wolkow, unseren Sportlehrer, im Trainingsanzug durch die Gänge federn, siebzig Jahre, durchtrainiert: Auf geht’s, Jungs! Hopp, hopp! Das Geräusch seiner schmatzenden Schritte auf dem Boden, fernes Gekicher aus der Mädchenumkleide und Wolkows Blick dorthin. Ich sehe die hohen Fenster, die Bänke, die Ringe an der Decke, an denen nie geturnt wurde. Ich sehe Natalie und Lena und Kimberley durch den Seiteneingang der Halle kommen. Und Tatjana in ihrem grünen Trainingsanzug. Ich sehe ihr verschwommenes Spiegelbild auf dem Hallenboden, die Glitzerhosen, die die Mädchen jetzt immer tragen, die Oberteile. Und dass neuerdings die Hälfte von ihnen in dicken Wollpullovern turnt, und mindestens drei haben immer ein Attest vom Arzt. Hagecius-Gymnasium Berlin, achte Klasse.
«Ich dachte, fünfzehn?», sage ich, und der Polizist schüttelt den Kopf.
«Nee, vierzehn. Vierzehn. Was ist mit dem Kaffee, Horst?»
«Kaffee ist kaputt», sagt Horst.
Ich möchte
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