Tuerkei - Ein Land jenseits der Klischees
die zentrale innerstädtische Lage schätzen. Es ist der einzige Stadtteil der gesamten Türkei, in dem die ÖDP – eine Partei, die am ehesten mit den deutschen Grünen vergleichbar ist – zweistellige Wahlergebnisse erzielt.
Für die Deutschen in Cihangir gibt es in einer der Kneipen sogar einmal in der Woche einen deutschen Stammtisch. Während viele »niemals« dahin gehen, ist Thomas Mühlbauer gern dabei. »Wenn ich Zeit habe, schau ich schon mal rein. Ab und zu eine Bratwurst zu essen, die sie dort servieren, ist auch nicht schlecht.« Er bedauert insgesamt, dass der Zusammenhalt der Deutschen nachgelassen hat und von der ehemaligen deutschen Vereinskultur kaum noch etwas existiert. »Es gibt noch den Brücke-Verein, in dem sich hauptsächlich deutsche Frauen, die nach Istanbul gekommen sind, nachdem sie einen türkischen Mann geheiratet hatten, organisieren, aber sonst kennt man sich doch kaum noch.« Je mehr Deutsche gekommen sind, umso mehr haben sie sich in der Millionenstadt Istanbul verstreut. Das war früher anders.
Das Zentrum des Deutschtums stand an der Garip Dede Caddesi, der Straße, die von der Fußgängerzone an der Istiklal Caddesi hinunterführt zum Galata-Turm, dem historischen Genuesen-Zentrum. In der Nähe des Turms steht ein Gebäude aus dem 19 . Jahrhundert, eine architektonische Trutzburg mit dem bezeichnenden Namen »Teutonia«. Im Verein »Teutonia«, der das Haus gegen Ende des 19 . Jahrhunderts bauen ließ, versammelten sich regelmäßig die in Istanbul ansässigen Deutschen und entfalteten ein reges Vereinsleben. Ein vor zwei Jahren erschienener Fotoband vermittelt einen guten Überblick über die Interna und die Beziehungen der Deutschen zu ihrem Gastland.
Besonders interessant ist die Phase des »Tausendjährigen Reiches«, die auch an der »Teutonia« nicht spurlos vorüberging. Nach anfänglichem Widerstreben setzten sich die Faschisten im Verein durch, was zu Spannungen mit der neutralen Türkei führte, die gerade dabei war, im Vorfeld des Krieges etliche Flüchtlinge aus dem Deutschen Reich nach Ankara einzuladen. Vor allem jüdische Akademiker, Sozialdemokraten und andere Gegner des NS -Regimes wurden von der türkischen Regierung gebeten, sich am Aufbau der Universitäten, Krankenhäuser und Kulturinstitutionen zu beteiligen. So entstand die absurde Situation, dass damals auf dem Gelände der Sommerresidenz der Deutschen Botschaft, einem riesigen Park im Bosporus-Vorort Tarabya, den schon Sultan Abdülhamid Kaiser Wilhelm vermacht hatte, SA-Gruppen marschieren übten, während gleichzeitig deutsche Emigranten in Ankara bei der Entwicklung und dem Aufbau verschiedener Institutionen der jungen türkischen Republik mithalfen.
Heute benutzen das Goethe-Institut und die Deutsche Schule die Räume der »Teutonia«, das frühere Vereinsleben ist nur noch Geschichte. Die Deutsche Schule dagegen, ebenfalls eine altehrwürdige Institution in Istanbul, spielt für die Deutschen in der Stadt nach wie vor eine wichtige, teilweise aber auch sehr ärgerliche Rolle. An der Schule können sowohl deutsche wie auch türkische Kinder ihr Abitur machen. Doch während der Zugang für deutsche Kinder selbstverständlich ist, müssen ihre türkischen Mitschüler erst eine schwere Prüfung absolvieren, bei der aus hunderten Bewerbern die Besten aussortiert werden. Als deutsche Kinder galten bis vor kurzem nur solche, deren Elternteile beide deutsch sind oder deren Vater zumindest. Die Diskriminierung von Kindern aus binationalen Ehen, vor allem eben solcher mit deutscher Mutter und türkischem Vater, war einer der Gründe für den Zusammenschluss deutscher Frauen zu »Brücke e.V.«, die schließlich selbst eine private Schule gründeten, auf der ihre Kinder Deutsch lernen konnten.
Mehr Fortune als die Deutsche Schule hat in Istanbul das Goethe-Institut. Kaum aufzuzählen sind die ganzen Veranstaltungen, die im Austausch zwischen deutschen Städten und Istanbul stattfinden. Selbst die renommiertesten Institutionen, wie die Schaubühne aus Berlin oder das Tanztheater Pina Bausch aus Wuppertal, drängen immer mal wieder an den Bosporus. Ausstellungen von Otto Dix bis zum Düsseldorfer Avantgarde-Künstler Josef Beuys wurden große Publikumserfolge. Mit einer großen Barlach-Ausstellung ging das Goethe-Institut sogar auf Tour durch Anatolien. »Istanbul ist ja kulturell schon völlig übersättigt, deshalb versuchen wir, soviel wie möglich auch in der Provinz zu machen«, erzählt die Leiterin
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