Türkisches Gambit
Wirtsleuten erklärten sie sich für Mann und Frau, doch ihr Zusammenleben war rein kameradschaftlich: Abends lasen sie, tranken Tee und plauderten im Salon, dann wünschten sie einander eine gute Nacht und gingen jeder in sein Zimmer. So lebten sie fast ein Jahr, und es war ein gutes Jahr, ohne Schmutz und Abgeschmacktheit,sie waren ein Herz und eine Seele. Petja besuchte die Universität und gab Unterricht, Warja lernte Stenographie und verdiente bis zu hundert Rubel im Monat. Sie führte Protokoll bei Gericht, schrieb die Memoiren eines gedächtnisschwachen Generals auf, des Bezwingers von Warschau, und dann geriet sie auf Empfehlung von Freunden an einen Großen Schriftsteller (wir lassen den Namen weg, denn es endete unschön), um dessen Roman zu stenographieren. Sie hegte Ehrfurcht für ihn und weigerte sich entschieden, Bezahlung anzunehmen, allein, der Beherrscher der Gedanken verstand das falsch. Er war entsetzlich alt, in den Sechzigern, mit einer großen Familie behaftet und überdies stockhäßlich. Dafür sprach er wohlgesetzt und überzeugend: In der Tat sei die Unschuld ein lächerliches Vorurteil und die bürgerliche Moral widerwärtig, und der menschlichen Natur brauche man sich nicht zu schämen. Warja hörte zu, dann beriet sie sich stundenlang mit Petja, was zu tun sei. Petja fand auch, daß Keuschheit und Scheinheiligkeit Fesseln seien, die der Frau aufgezwungen würden, aber mit dem Großen Schriftsteller in physiologische Beziehungen zu treten, davon riet er ihr entschieden ab. Er ereiferte sich, argumentierte, daß der Schriftsteller gar nicht so groß sei, viele fortschrittliche Menschen hielten ihn sogar für einen Reaktionär. Es endete, wie schon gesagt, unschön. Eines Tages unterbrach der Große Schriftsteller das Diktat einer unglaublich starken Szene (Warja hatte Tränen in den Augen), atmete keuchend, schniefte, legte der dunkelblonden Stenographistin linkisch den Arm um die Schultern und zog sie zum Sofa. Ein Weilchen duldete sie sein wirres Gesäusel und die Berührungen seiner flatternden Finger, die sich in den Haken und Knöpfen verfingen, dann begriff sie auf einmal ganz deutlich, nein, sie begriff nicht, sondern sie fühlte:Das ist falsch und darf nicht stattfinden. Sie stieß den Großen Schriftsteller zurück, lief hinaus und ging nie wieder zu ihm.
Diese Geschichte brachte Petja auf dumme Gedanken. Es war März, der Frühling hatte zeitig begonnen, von der Newa her roch es nach Weite und nach Eisgang, und Petja stellte ein Ultimatum: So könne es nicht weitergehen, sie seien füreinander geschaffen, ihre Beziehung habe der Zeit standgehalten. Sie beide seien lebendige Menschen und dürften die Gesetze der Natur nicht mißachten. Er sei mit körperlicher Liebe auch ohne Brautkranz einverstanden, aber besser sei es, richtig zu heiraten, denn das enthebe sie vieler Komplikationen. Und dann lenkte er es geschickt so, daß nur noch darüber diskutiert wurde, wie sie sich trauen lassen würden, standesamtlich oder kirchlich. Die Streitgespräche dauerten bis in den April, im April begann der langerwartete Krieg zur Befreiung der slawischen Brüder, und Petja Jablokow als ordentlicher Mensch meldete sich freiwillig. Vor seiner Abreise versprach Warja ihm zweierlei: ihm bald eine endgültige Antwort zu geben und ihm unbedingt in den Krieg zu folgen, ihr werde da schon etwas einfallen.
Und ihr fiel etwas ein, wenn es auch etwas dauerte. Ihre Versuche, als Krankenschwester in einem provisorischen Militärhospital oder in einem Feldlazarett zu arbeiten, schlugen fehl, da ihre unbeendeten Geburtshilfekurse nicht anerkannt wurden. Telegraphistinnen durften nicht zur kämpfenden Armee. Warja wollte fast verzweifeln, da kam aus Rumänien ein Brief: Petja klagte, daß sie ihn wegen seiner Plattfüße nicht zur Infanterie genommen hätten. Statt dessen sei er dem Stab des Oberbefehlshabers Großfürst Nikolai Nikolajewitsch überstellt worden, seiner mathematischenKenntnisse halber, denn es wurden dringlichst Chiffrierer gebraucht.
Nun, beim Hauptquartier irgendeine Anstellung zu finden oder schlimmstenfalls im rückwärtigen Gewimmel unterzutauchen, das dürfte nicht schwer sein, befand Warja und schmiedete ungesäumt den Plan, der auch in den beiden ersten Etappen wunderbar funktioniert, in der dritten jedoch mit der Katastrophe geendet hatte.
Inzwischen rückte die Lösung näher. Der violettnasige Wirt knurrte etwas Drohendes, wischte die Hände an einem grauen Handtuch ab und
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