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Türkisches Gambit

Türkisches Gambit

Titel: Türkisches Gambit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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der Kampfhandlungen. Auf den Straßen patrouillierten Kosakenstreiftrupps, und wenn man nicht achtgab, wurde man aufgegriffen und im Handumdrehen nach Bukarest zurückgeschickt. Aber Warja, die ein findiges, vorausschauendes Mädchen war, traf Maßnahmen.
    In einem bulgarischen Dorf am Südufer der Donau fand sie einen Ausspannhof. Zu ihrem Glück verstand der Wirt russisch und versprach ihr für fünf Rubel einen zuverlässigenWodatsch, einen Fuhrmann. Sie kaufte eine weite Pluderhose, ein Hemd, Stiefel, eine Weste und eine närrische Tuchschapka und zog sich um. So wurde aus dem europäischen Fräulein ein magerer bulgarischer Halbwüchsiger, der bei keiner Streife Verdacht erregen würde. Sie ließ den Fuhrmann einen Bogen fahren, um die Marschkolonnen zu umgehen und Zarewizy nicht von Norden, sondern von Süden zu erreichen. Dort, im Armeehauptquartier, wartete Petja Jablokow, Warjas … ja was eigentlich? Bräutigam? Freund? Mann? Sagen wir so: ihr ehemaliger Mann und künftiger Bräutigam. Und Freund natürlich.
    Noch bei Dunkelheit fuhren sie mit der knarrenden, rüttelnden Karuza los. Mitko, der schweigsame Wodatsch mit dem grauen Schnauzbart, kaute unentwegt Tabak und spuckte immer wieder einen langen braunen Strahl aus (Warja zuckte jedesmalzusammen); anfangshatte er noch etwas exotisch Balkanischesvorsichhingesungen, dann war er jedoch verstummt und ins Grübeln gekommen – jetzt wußte sie auch worüber.
    Er hätte mich umbringen können, dachte sie schaudernd. Oder noch schlimmer. Wer sollte das hier untersuchen? Man würde es diesen, wie hießen sie gleich, Baschi-Bosuks in die Schuhe schieben.
    Doch auch so war sie in einer abscheulichen Situation. Der Verräter Mitko hatte sie in diese Räuberspelunke gebracht, hatte sie an den Tisch gesetzt, ihr Käse und einen Krug Wein geben lassen, sich der Tür zugewandt und ihr bedeutet, er komme gleich wieder. Sie war ihm hinterher gestürzt, denn sie wollte nicht in dieser dreckigen, finsteren und stinkenden Verbrecherhöhle bleiben, aber Mitko sagte, er müsse mal weg, na ja, wegen eines physiologischen Bedürfnisses. Als sie das nicht verstand, erklärte er es mit einer Geste, da kehrte sie verlegen zu ihrem Platz zurück.
    Das physiologische Bedürfnis zog sich über alle Maßen in die Länge. Warja aß ein wenig von dem salzigen Käse, der nicht schmeckte, und nippte von dem sauren Wein, doch dann konnte sie das wachsende Interesse der unheimlichen Besucher dieser Kaschemme an ihrer Person nicht mehr ertragen und trat hinaus in den Hof.
    Trat hinaus und erstarrte.
    Die Karuza war spurlos verschwunden. Darin hatte ihr Koffer mit den Sachen gelegen. Und mit der Reiseapotheke. Und in der Apotheke, zwischen Scharpie und Binden, lagen ihr Paß und alles Geld.
    Warja wollte hinauslaufen auf die Straße, aber da kam aus der Schenke der Wirt – rotes Hemd, violette Nase und Warzen am Hals – herausgesprungen, schrie aufgebracht und zeigte: erst bezahlen, dann abhauen. Eingeschüchtert kehrte sie um; bezahlen konnte sie nicht. Sie setzte sich wieder in die Ecke und versuchte, das Geschehene als Abenteuer zu betrachten. Das ging nicht.
    In der Gaststube war keine einzige Frau. Die schmuddligen Bauern benahmen sich ganz anders als die russischen Mushiks – die waren friedlich, solange sie nicht betrunken waren, und unterhielten sich halblaut, diese aber brüllten herum, soffen den Rotwein aus Krügen und brachen immer wieder in ein (wie es Warja vorkam) räuberisches Gelächter aus. An einem langen Tisch wurde gewürfelt, und jeden Wurf begleitete Geschrei. Einmal war das Geschimpfe lauter als sonst, und einem volltrunkenen kleinen Mann wurde ein irdener Krug über den Kopf geschlagen, er fiel unter den Tisch, niemand kümmerte sich um ihn.
    Der Wirt nickte zu Warja hin und sagte speichelnd etwas, woraufhin sich am Nebentisch alle nach ihr umdrehten und bedrohlich wieherten. Warja duckte sich und zog die Schapkaüber die Augen. Außer ihr hatte hier niemand eine Mütze auf. Aberabsetzenkonntesie sie nicht, dann hätte ihr Haar, obwohl kurzgeschnitten, wie es sich für eine moderne Frau gehörte, ihre Zugehörigkeit zum schwachen Geschlecht verraten. Diese widerliche Bezeichnung – »das schwache Geschlecht« – war von Männern erdacht worden. Leider traf sie zu.
    Warja wurde jetzt von allen Seiten angeglotzt, die Blicke waren klebrig und verhießen nichts Gutes. Nur die Würfelspieler interessierten sich nicht für sie, und am Nebentisch, näher zur Theke,

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