Tyrannenmord
sollte es nicht möglich sein, dass ihm mal früher Aufgefallenes, dem er damals keine besondere Bedeutung beimaß, nun in einem anderen Zusammenhang sah?
Und wenn es nur eine Bemerkung war, die dieser einmal irgendwann aufgeschnappt hatte oder das Verhalten eines Menschen betraf, das aufgrund der jüngsten Ereignisse nun eine andere Färbung angenommen hatte und sich mit anderen Teilen zu einem vordem rätselhaften Puzzles fügte.
Schmidt erinnerte sich an schier aussichtslose Fälle, bei denen eine klitzekleine, äußere Anregung, längst vergessen Geglaubtes wieder hochspülen ließ.
Er hoffte, in einem mehrstündigen Schlaf hinreichend Kräfte sammeln zu können, aber als er schließlich wegsackte, harrte seiner schon ein bizarrer Albtraum.
Mitten auf einer Chaussee hatte sich eine aus gleißendem Gold bestehende, zyklopisch anmutende Pfeilschützin postiert, die mit ihrem Bogen einem fernen, kriegerischen Reich entsprungen schien und zum tiefblau-violetten Himmel in einem pittoresk bizarren Kontrast stand.
Ihr gegenüber, wuchtig die ganze Breite der Chaussee einehmend, schob sich eine unübersehbare Schlange heran, die bestehend aus schwarzen motorisierten Kutten kurz ins Stocken geraten war. Jedes Mal, wenn diese sich fauchend rollend in Bewegung setzte, wurde sie mit einem schnellen Stakkato von brennenden Pfeilen gestoppt.
Beim Auftreffen explodierten die Pfeilspitzen und während einige auf chromblitzenden Tanks landeten und dort wie kurzlebige Sternschnuppen verglühten, durchdrangen andere die schwarzen Kutten, woraufhin die Getroffenen bei lebendigem Leibe auszubrennen begannen, bis nur eine Hülle aus Asche übrig blieb.
Doch so sehr die Wehrhafte ihren Pfeilregen auch verdichtete, der Tross aus tausend rollenden Rädern kam unaufhaltsam näher.
Schon wollte die Kriegerin der Übermacht weichend den Rückzug antreten, als mit infernalischem Sirenengeheul ein unbemannter Feuerwehrwagen zu Hilfe kam, aus dessen Kühlergrill ein spritzender, todbringender Strahl von glühender Lava das Schicksal der sich unter ohrenbetäubendem Geheul windenden Riesenschlange endgültig besiegelte.
Gerade als die Flammen bedrohlich an Schmidts Bett hoch zu blecken begannen, beugte sich eine dunkle Gestalt mit Gasmaske über ihn, in deren tiefschwarzen Schutzgläsern die Porträts seiner damals in Malmö tödlich verunglückten Frau aufblinkten …
Schmidt warf sich mit gurgelnden Lauten noch einige Male hin und her, bis ihn der nachhaltig gleichbleibende Warnton seines Handys weckte und schließlich erlöste.
Am anderen Ende der Verbindung meldete sich Dorfpolizist Hensel, dessen Stimme nur sehr schwer zu verstehen war, da im Hintergrund ein wirres Durcheinander der verschiedensten Geräusche dominierte.
»Hallo, Herr Hauptkommissar, hören Sie mich?«
»Ja, es geht«, antwortete Schmidt, der vom soeben erlebten Traumgeschehen leicht benommen war und deshalb das Handy stärker an sein Ohr presste.
»Erika Longs Kate niedergebrannt … Besitzerin gerettet … wir sind bereits am Löschen …« Hensels Stimme wurde schwächer und schwächer bis die Verbindung ganz abbrach. Dennoch hatte Schmidt genug gehört. Er schaute auf die grünen, phosphoreszierenden Ziffern seiner Armbanduhr: zwei Uhr fünfundzwanzig. Er gähnte, die Müdigkeit machte ihm natürlich zu schaffen. Dennoch befand er sich, nachdem er die Kollegen von der Spurensicherung alarmiert hatte, keine zehn Minuten später auf der Nordstraße in Richtung Langballig.
Obwohl sich Schmidt in seinem Wagen noch unterhalb des Brandes auf der Nordstraße befand, sah er bereits die weithin sichtbare Feuersbrunst auf einer Anhöhe aufflackern. Als er näher kam, stieg ihm der typische Brandgeruch des durch das Löschwasser nass gewordenen Dachgebälks in die Nase.
Die kleine Reetdachkate war inzwischen bis auf die Grundmauern niedergebrannt, während die Freiwilligen Wehren der Gemeinde durch Ablöschen ein weiteres Ausbreiten des Feuers auf die Stallungen und Volieren der Vögel zu verhindern suchten.
Erika Long lag bereits im Wagen des Rettungsdienstes, wo sie künstlich beatmet wurde. Kurz davor traf Schmidt auf Hensel, der dabei war, den Unglücksort weiträumig abzusperren. Schmidt klopfte ihm auf die Schulter, woraufhin dieser innehielt und sich umwandte.
»Können Sie etwas zum Stand der Dinge berichten, Herr Hensel?«
»Moin, moin, Herr Hauptkommissar«, versuchte Hensel sich mit erhobener Stimme gegen das Zischen, Knacken und Bersten des
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