Über das Haben
viele Bereiche der philosophischen Reflexion die Grundlagen gelegt. So auch für das SEIN und das HABEN . Das ist hauptsächlich zu lesen in der sogenannten Kategorienschrift, einem relativ kurz gefassten Werk, in dem Aristoteles in locker geordneter Folge zehn ausgewählte Kategorien als Elementarbegriffe des Denkens behandelt. Diesen Kategorien sind nach seiner Lehre alle weiteren Begriffe als «Subkategorien» untergeordnet.[ 1 ]
Eine dieser zehn Kategorien, und zwar die achte in der aristotelischen Reihenfolge, ist das HABEN . Sie wird in der griechischen Sprache meistens verbal (
echein
), bisweilen auch nominal (
hexis
) ausgedrückt. Dem entsprechen in der lateinischen Überlieferung die Begriffe
habere
und
habitus
. Aus dieser Erhöhung in den Rang einer aristotelischen Kategorie ist dem HABEN ein begriffliches Prestige zugewachsen, wie es sonst bei einem gewöhnlichen Wort nicht leicht zu finden ist.
Die aristotelische Kategorienlehre verdient es, genauer angesehen zu werden. Sie ist ihrer Struktur nach ein Katalog, der zehn paarweise angeordnete Begriffe umfasst. Es sind die folgenden: SUBSTANZ – RELATION / QUANTITÄT – QUALITÄT / WO – WANN / LAGE – HABEN / WIRKEN – LEIDEN . Von diesen zehn Kategorien wird alles Nachdenken über die Welt vorgesteuert. Wie das zu verstehen ist, lässt sich zum Beispiel an der ersten Kategorie zeigen. Sie wird heute gewöhnlich Substanz genannt (nach lateinisch
substantia
). Doch heißt sie bei Aristoteles SEIN (verbal
on,
nominal
ousia
). Unter diesen Elementarbegriff fällt alles Seiende, insofern es kategorial in seinem SEIN betrachtetwird. Eben das ist nach aristotelischem Vorbild Gegenstand einer eigenen philosophischen Disziplin, der «Lehre vom Sein». Sie gilt seit der Antike als Kernthema der Metaphysik und wird seit Heidegger vorwiegend Ontologie genannt.
In ähnlicher Weise haben auch die anderen aristotelischen Kategorien zwei Jahrtausende lang das weitere Nachdenken der Philosophen intensiv angeregt, so dass sich für fast jede Kategorie eine eigene Denkschule gebildet hat. Für das hier zu besprechende HABEN sind jedoch nur relativ wenige Rezeptionserfolge dieser Art zu vermelden. Die Begriffsgeschichte der Kategorien lässt vielmehr erkennen, dass sich in der langen Aristoteles-Nachfolge zwischen der ersten Kategorie ( SEIN ) und der achten Kategorie ( HABEN ) eine beträchtliche Geltungsdifferenz aufgetan hat. Die
Ousia
ist eine Art Hochadel unter den Kategorien geworden, die
Hexis
gehört eher zum niederen Adel. Eine eigene « HABEN -Wissenschaft» hat sich jedenfalls aus Gründen, die noch zu erörtern sind, nicht oder nur in Ansätzen gebildet.
Wir wollen nun sehen, was Aristoteles selber zu seiner achten Kategorie geschrieben hat. Zunächst charakterisiert er das HABEN im vierten Kapitel kurz mit zwei Beispielen: «hat Schuhe an» und «hat eine Rüstung an». Warum diese einfachen Beispiele? Sie sind nicht trivial. In der Gesellschaft, in der Aristoteles gelebt hat, ist derjenige, der Schuhe anhat, ein HABENDER . Wer nichts hat, geht barfuß. Wer jedoch eine Rüstung hat oder anhat, gibt sich damit als WOHLHABEND zu erkennen. Er wird für eine lange Geschichtszeit als Reiter, Ritter oder Caballero ein Mann von Adel sein.
Im fünfzehnten Kapitel der genannten Schrift kommt Aristoteles ausführlicher auf die achte Kategorie zurück und beschreibt sie nun in Form eines mehrteiligen Katalogs, der ungefähr den Sprachgebrauch der altgriechischen Sprache ausschöpft:
« HABEN kann seiner Bedeutung nach ein Mehrfaches sein:
– ein Habitus oder eine Disposition oder sonst eine Qualität, da man ja sagt, dass jemand eine Fähigkeit oder Kompetenz HAT ;
– eine quantitative Maßeinheit, zum Beispiel die Körpergröße, die jemand HAT , wenn man etwa sagt, dass jemand eine Größe von drei oder vier Ellen HAT ;
– das, was den Körper umkleidet, zum Beispiel ein Mantel oder ein Gewand;
– das, was an einem Körperteil getragen wird, etwa ein Ring an der Hand;
– was selber ein Körperteil ist, zum Beispiel eine Hand oder ein Fuß;
– was etwas zum Inhalt HAT als dessen Behälter, wie zum Beispiel ein Scheffel Weizen oder ein Krug Wein, da man ja sagt, dass ein Scheffel soundsoviel Maß Weizen und ein Krug soundsoviel Maß Wein zum Inhalt HAT – man versteht hier also das Enthaltene als etwas, das umschlossen ist;
– ein Besitz, da man ja sagt, dass jemand ein Haus oder ein Feld HAT . Auch sagt man, dass jemand eine Frau HAT oder eine
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