Ueber den Horizont hinaus - Band 1
einer Schmerztablette in den Griff zu kriegen wäre.“
„Ich weiß nicht“, erwiderte Nathan zweifelnd und beobachtete die kläglichen Versuche Liams, sich fortzubewegen, ohne seinen linken Fuß zu belasten. Die Schwellung hatte eine seltsame Färbung angenommen, irgendwo zwischen rot und lila.
„Ich weiß wirklich nicht“, wiederholte er. „Ein Arzt könnte doch nicht schaden.“
„Nein“, schnappte Liam und sein Blick flackerte mit der Ablehnung. „Das ist wirklich nicht notwendig.“
Er betonte seine Worte, stieß sie beinahe ärgerlich hervor, ließ keinen Zweifel an seiner Überzeugtheit.
Doch in diesem Moment glitt sein guter Fuß auf dem nassen Grund aus, und er rutschte. Nathan erhaschte gerade noch den Schreck in Liams Augen, als sich sein eigener Körper bereits automatisch in Bewegung setzte, er die wenigen Schritte nach vorne eilte, und den anderen auffing, noch bevor der einen schmerzhaften Fall erleiden konnte.
„Ich hab dich“, stieß Nathan keuchend hervor und balancierte mühsam. Er verlagerte sein Gewicht zu gleichen Teilen auf beide Füße, hielt Liam fester und zog ihn hoch, bevor der in die Knie sank.
„Autsch“, fluchte Liam, doch klammerte sich zugleich an Nathans Körper. Offensichtlich war ihm die Vorstellung, auf den harten Kachelboden zu stürzen, weniger unangenehm, als die Hilfe des Kollegen.
Sobald er wieder festen Halt auf seinem rechten Bein gefunden hatte, atmete er zufrieden aus, und klopfte Nathan dankbar auf die Schulter.
Ein Zwinkern blitzte in seinen Augenwinkeln auf, als er sich zu ihm hinunterbeugte. „Danke, Mann. Das hätte mir heute gerade noch gefehlt.“
„Schon in Ordnung.“ Nathan zuckte mit den Achseln, doch konnte das Lächeln nicht zurückhalten, das sich warm auf seinem Gesicht ausbreitete.
„War mir ein Vergnügen.“
Liam sah ihn an und Nathans Lächeln vertiefte sich, als der Größere es erwiderte.
„Glaub ich gern“, sagte Liam und räusperte sich. „Ich werde jetzt mal lieber…“
Er deutete auf die Umkleidekabinen.
„Natürlich.“ Nathan nickte, und wenn er nicht die Hitze in seinem Gesicht bereits fühlte, würde ihm sein erneutes Erröten spätestens jetzt bewusst.
„Ich… ähm… ich werde auch…“ Er sah an sich herunter und erst jetzt fiel ihm wieder ein, dass er immer noch in seinem Kostüm steckte. Nathan drehte sich um, doch bevor er ging, sah er noch einmal über seine Schulter.
„Wenn ich dir doch noch helfen kann… du weißt schon… mit deinem Fuß…“ Er stockte, sprach dann weiter. „Sag es ruhig“, fügte er hinzu. „Ich tu das wirklich gerne.“
„Danke.“ Liam sah ihn nicht an, doch Nathan spürte, dass er es ernst meinte.
Sein Herz sang, als er seinen Schrank suchte, die Alltagskleidung, die ihn wieder in einen wirklichen Menschen verwandelte, hervorkramte, aus seinem Kostüm stieg und es trotz oder gerade wegen der dadurch erlittenen Strapazen liebevoll glatt strich, bevor er es auf einen Bügel hängte.
Er atmete auf, als er in Jeans und Sweatshirt den Umkleideraum verließ, genoss es, den Lufthauch um seinen Körper wehen zu spüren, als ein Ächzen an sein Ohr drang, Nathan auf dem Absatz umdrehen ließ.
Eiligen Schrittes ging er dem Laut nach, der, obwohl längst verklungen, doch für ihn noch immer in der Luft hing.
Liams Garderobe war nicht weit.
Nathan zögerte unmerklich an der Tür, doch da sie nur angelehnt war, stieß er vorsichtig dagegen und beobachtete, wie sie aufschwang. Durch den Spalt erkannte er Liam, der gegen eine Schranktür lehnte. Sein Hemd war offen, ein Bein steckte bereits in einer verwaschenen Jeans, während das andere noch unbekleidet war. Der Rest der Jeans hing lose herab, denn offensichtlich war der Stoff Liams Händen entglitten, noch ehe er sich ankleiden konnte. Liam blickte auf, sein Gesicht schmerzverzerrt; Anlass genug für Nathan, die Tür komplett aufzustoßen und in den Raum zu treten. Liams Ausdruck veränderte sich nicht. Nathan konnte nicht erkennen, ob sein Eindringen unangenehm oder willkommen war. Trotzdem ging er auf den anderen zu, zwang sich zu einem entspannten Lächeln.
Liam sah zur Seite, als Nathan sich näherte. Doch er ließ es zu, dass der ihn zu der Bank an der Wand führte, ihn sanft zum Niedersetzen dirigierte. Liam schüttelte seinen Kopf, öffnete den Mund, als wollte er Einwand erheben, doch schien es sich im letzten Augenblick noch einmal zu überlegen, senkte den Kopf und schwieg, als Nathan sich bückte, um ihm in
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