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Über den Missouri

Über den Missouri

Titel: Über den Missouri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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waren, wiesen ihre nachdrängenden Gefährten mit Fußtritten und Ellbogenstößen zurück.
    Aus der Ferne hörte man den Hufschlag der fliehenden Stute und ihrer Verfolger. Der Falbe war verschwunden.
    »Wer ihn hat, der soll es sagen!« schrie plötzlich einer im Zorn durch die Dunkelheit. »Der soll es sagen, der Lump, der den Skalp gestohlen hat!«
    »Ruhig!« befahl eine andere Stimme. »Alle zurück! Aus der Mulde hinaus! Was trampelt ihr hier herum wie Rindvieh. Zwei her, die mit mir die Toten durchsuchen!«
    Tokei-ihto sah den Sprecher nur als Schatten. Der Häuptling befand sich noch nicht in Reichweite dieses Befehlsgebers, aber er sorgte schon dafür, daß der Messergriff mit dem Vogelkopf nicht gleich zu fühlen war. Charlemagne erinnerte sich vielleicht an diese Waffe, denn er hatte sie im Gürtel des Häuptlings bei der Unterredung mit Red Fox gesehen. Er kannte auch Tokei-ihto aus der Zeit, als der Häuptling als junger Bursche noch Kundschafter bei den weißen Männern gewesen war.
    Da jetzt eine geordnete Suche bei den Toten stattfinden sollte, rechnete der Dakota mit einer schnellen Entwicklung und Entscheidung seiner Lage. Er verlor die Ruhe nicht und war entschlossen, das zu tun, was gegenüber dem Verhalten seiner Feinde jeweils Erfolg versprechen konnte.
    Zwei bückten sich, und der Häuptling erkannte den jungen Philipe, der den Bogen des Häuptlings gefunden hatte und für alle sichtbar in die Höhe hielt. Seinem Nebenmann kam dabei ein Gedanke. »Wir nehmen uns noch irgendeinen schwarzen Skalp dazu! Dann stimmt’s!« Der findige Kopf war Louis, der Canadier. Er schien seinen Vorschlag gleich ausführen zu wollen. Tokei-ihto spürte den Griff in seinen Haaren. Doch fragte Louis noch mit menschenfreundlicher Vorsorge: »Bist du schon ganz tot, mein roter Bruder?«
    »Nein«, antwortete der Häuptling, als sei er einer der indianischen Kundschafter im Dienst der Weißen, der beim Angriff verwundet war. »Mein Bruder Louis mag meine Haare sogleich loslassen, oder ich steche zu. Tokei-ihto ist nicht mehr hier. Er ist entflohen!«
    »Sacre nom …!« Charlemagne, der die Auskunft mit angehört hatte, zwirbelte seinen Bart. »Sacre nom! Vielleicht war er wirklich nicht ganz mausetot … schleicht sich in die Bucht hinunter ins Gesträuch, sitzt zwischen den Weiden … sieht uns da oben stehen und schießt … die Canaille!«
    Eine Flinte krachte vom Buchthang her. Charlemagne stürzte. Er war tödlich getroffen.
    Einen Augenblick war es still nach dem Schuß, der aus nächster Nähe abgegeben war. Die Skalpjäger waren wie erstarrt. Aber nach der kurzen Stille brandete ein ohrenbetäubender Lärm auf. Die Jäger glaubten, daß der entflohene Tokei-ihto geschossen habe. Im Umsehen rannten und sprangen sie den Buchthang hinab, um den Schützen zu fassen. Ihren Rufen war zu entnehmen, daß sie einen fliehenden Indianer sahen und verfolgten.
    Wie eine ausbrechende Büffelherde tobten sie den Hang hinab. Flüche und Schreie übertönten das leise Rauschen des Wassers. Einige bückten sich und schienen die Waffen der Gefallenen auch unterwegs noch mitzunehmen. Andere stolperten und fielen über die Gefährten oder sprangen über sie hinweg. Zweige knackten, in die Pfützen im Buchtgrunde klatschten die Reiterstiefel.
    Die Menge auf der Kuppe hatte sich schon aufgelöst. Die letzten rannten rechts und links die Hänge in die Prärie hinab, um unbehindert vorwärts zu kommen. Je weiter sich die Jagd hinzog, desto mehr machte sich der Unterschied in der Schnelligkeit der Füße bemerkbar. Die Skalpjäger zerstreuten sich auf der Verfolgung, und endlich waren sie alle in der Finsternis und den Bodennebeln des Stromtales verschwunden.
    Der Dakota war oben geblieben und horchte von der still und einsam gewordenen Höhe den Davoneilenden nach. Vielleicht wäre es klug gewesen, mit der Menge der eigenen Verfolger den Hang hinunter in das Tal zu laufen und dort ihren Augen zu entschwinden. Aber seine Füße waren jetzt schlapp wie eine aufgehängte Büffelhaut, und die Umrisse der Kuppe verschwammen ihm vor den Augen. Der Verband war ihm halb abgerissen, und das Blut lief von seinem Kopf. So blieb er, um die Baststreifen wieder in Ordnung zu bringen. War er allein? Waren sie alle in das Tal hinuntergelaufen? Alle?
    Bis auf einen einzigen. Der Häuptling erkannte auf einmal einen Schatten dicht neben sich in der Dunkelheit. Er wußte nicht zu sagen, ob der Schatten aus dem Boden aufgewachsen oder von irgendeiner

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