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Überflieger - Warum manche Menschen erfolgreich sind und andere nicht

Titel: Überflieger - Warum manche Menschen erfolgreich sind und andere nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Malcolm Gladwell
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steht – ist seine Größe.
     Es ist ungefähr so groß wie ein Hotelzimmer und damit ziemlich klein. Zu einem typischen Familienbetrieb gehören zwei oder
     drei Reisfelder. Ein Dorf mit 1 500 Einwohnern ernährt sich von rund 180 Hektar Land – so viel, wie zu einem durchschnittlichen
     Familienbetrieb im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten gehören. Wenn eine fünf- oder sechsköpfige Familie von einem Stück
     Land leben muss, das so groß ist wie zwei Hotelzimmer, dann verändert sich die Landwirtschaft dramatisch.
    Historisch gesehen ist die westliche Agrikultur »mechanisch« ausgerichtet. Wollte ein Bauer größere Erträge erzielen, dann
     schaffte er modernere Geräte an, die es ihm erlaubten, menschliche Arbeitskraft durch Maschinen zu ersetzen: einen Traktor,
     eine Dreschmaschine, eine Heuballenpresse, einen Mähdrescher. Er rodete neue Felder und erweiterte seine Anbaufläche, denn
     mit den Maschinen konnte er mit demselben Aufwand immer größere Ackerflächen bestellen. Doch in Japan und China hatten die
     Bauern weder das Geld, sich neue Maschinen anzuschaffen, noch standen zusätzliche Flächen zur Verfügung, die sich in neue
     Reisfelder hätten verwandeln lassen. Die Bauern konnten ihre Erträge nur dann steigern, wenn sie ihre Zeit effektiver nutzten
     und bessere Entscheidungen trafen. Daher bezeichnet die Anthropologin Francesca Bray den Reisanbau als »kompetenzorientiert«:
     Wer bereit ist, ein bisschen gründlicher Unkraut zu jäten, gezielter zu düngen, mehr Zeit auf die richtige Einstellung der
     Wasserhöhe zu verwenden, sein Feld absolut waagerecht anzulegen und jeden Quadratzentimeter optimal zu nutzen, der erzielt
     höhere Erträge. Kein Wunder also, dass Reisbauern in der Vergangenheit härter gearbeitet haben als alle anderen Bauern.
    Letztere Aussage mag ein wenig merkwürdig klingen, zumal die meisten von uns der Ansicht sind, die Arbeit in vormodernen |207| Gesellschaften sei ausgesprochen hart gewesen. Das stimmt so allerdings nicht ganz. Unsere Vorfahren stammen unter anderem
     von Jägern und Sammlern ab, und die hatten kein sonderlich aufreibendes Leben. Die !Kung-Buschmänner der Kalahariwüste in
     Botsuana, die zu den letzten Vertretern dieser Lebensform gehören, leben von einer Vielfalt wild wachsender Früchte, Beeren
     und Wurzeln. Hauptbestandteil ihrer Ernährung ist die proteinhaltige Mongongo-Nuss, die in der Region in Hülle und Fülle vorkommt.
     Die !Kung betreiben keinen Ackerbau und gehen keinen zeitraubendenTätigkeitenwieAussaat, Ungezieferbekämpfung, Ernteund Lagerung
     nach. Auch Tiere halten sie keine. Gelegentlich gehen die Kung-Männer auf die Jagd, wenn auch eher zum Zeitvertreib. Im Ganzen
     arbeiten die Buschmänner und -frauen zwischen 12 und 19 Stunden pro Woche und verbringen ihre Zeit in der Hauptsache mit Tanzen,
     geselligem Zusammensein und Besuchen bei Freunden und Familie. Insgesamt arbeiten sie weniger als 1 000 Stunden pro Jahr.
     (Als einer der Buschmänner gefragt wurde, warum sein Volk keinen Ackerbau betreibe, blickte er den Fragesteller verdutzt an
     und erwiderte: »Warum sollen wir etwas anpflanzen, wenn es so viele Mongongo-Nüsse auf der Welt gibt?«)
    Oder nehmen wir das Leben der Bauern im Europa des 18. Jahrhunderts. An rund 200 Tagen im Jahr arbeiteten die Männer und Frauen
     von Sonnenaufgang bis zum Mittag und kamen damit auf eine Jahresarbeitszeit von rund 1 200 Stunden. Während der Aussaat im
     Frühjahr und der Ernte im Herbst waren die Arbeitstage länger, im Sommer und Winter waren sie dagegen sehr viel kürzer. Der
     Historiker Graham Robb schreibt in seinem Buch
The Discovery
of France
, das Leben eines französischen Bauern habe bis ins 19. Jahrhundert aus kurzen Phasen der Arbeit und langen Phasen des Nichtstuns
     bestanden.
    »99 Prozent der landwirtschaftlichen Tätigkeiten, die hier und in anderen Darstellungen beschrieben werden, entfielen auf
     das Ende des Frühjahrs und den Beginn des Herbstes«, schreibt Robb. In den Pyrenäen und den Alpen fielen ganze Dörfer mit
     dem ­ersten |208| Schneefall Anfang November in Winterschlaf und erwachten erst im März oder April wieder. Doch auch in den gemäßigteren Regionen
     Frankreichs, wo die Temperatur kaum unter den Gefrierpunkt fiel, war es kaum anders. Robb fährt fort:
    Die Felder Flanderns waren den größten Teil des Jahres verlassen. Im Jahr 1844 beschrieb ein offizieller Bericht über die
     Region Nièvre die seltsame Verwandlung der

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