Ueberflieger
fiel eines der Triebwerke aus. Wenige Sekunden später fiel ein zweites Triebwerk aus. »Zeig mir die Landebahn!«, schrie der Kapitän in der verzweifelten Hoffnung, er sei nahe genug, um im Gleitflug zu landen. Doch der Flughafen war noch 25 Kilometer entfernt.
Die Boeing 707 ging in der vornehmen Ortschaft Oyster Bay auf Long Island nieder und stürzte auf den Wohnsitz des Vaters von Tennisspieler John McEnroe. Von den 158 Passagieren kamen 73 ums Leben. Es dauerte nur einen Tag, bis die Unglücksursache feststand: Treibstoffmangel. Mit dem Flugzeug war alles in Ordnung, genau wie mit dem Flughafen. Die Piloten waren weder betrunken noch standen sie unter Drogen. Der Tank war leer.
4.
»Es ist ein klassischer Fall«, meint Suren Ratwatte, altgedienter Pilot der Emirates Airlines, der seit Jahren an der Erforschung der »menschlichen Faktoren« – der Interaktion von Menschen in komplexen System wie Atomkraftwerken und Flugzeugen – beteiligt ist. Der lebhafte Mittvierziger stammt aus Sri Lanka und war während seines gesamten Berufslebens Pilot der kommerziellen Luftfahrt. Wir sitzen in der Halle des Sheraton Hotels in Manhattan. Er ist gerade nach einem langen Flug aus Dubai mit einem Jumbo am Kennedy Airport gelandet. Ratwatte kennt den Avianca-Fall sehr genau und zählt einige der typischen Voraussetzungen für einen Unfall auf. Der Nord-Ost-Wind. Die Verspätung. Das kleinere technische Problem mit dem Autopiloten. Die drei Warteschleifen, die nicht nur 80 Minuten zusätzliche Flugzeit bedeuteten, sondern auch eine niedrigere Flughöhe, auf der das Flugzeug erheblich mehr Treibstoff verbrauchte als in der dünnen Luft über den Wolken.
»Und es war eine 707, ein älteres Modell und eine echte Herausforderung für einen Piloten«, erklärt Ratwatte. »Es ist ein Flugzeug der früheren Generation. Das Ding kostet eine Menge Kraft. Die Steuerung |168| ist nicht hydraulisch verstärkt, sondern über Stahlseile und Gestänge direkt mit der Oberfläche des Flugzeugs verbunden. Als Pilot muss man einiges an Kraft mitbringen, um das Ding zu fliegen. Man muss es regelrecht durch die Luft wuchten. Das ist so anstrengend, als würden Sie rudern. Das Flugzeug, mit dem ich heute gekommen bin, kann ich mit zwei Fingern steuern. Ich habe einen Joystick. Meine Anzeigen sind riesig. In der 707 sind sie so groß wie Kaffeetässchen. Und der Autopilot war ausgefallen. Der Kapitän musste neun Instrumente im Auge behalten, von denen jedes so groß war wie ein Kaffeetässchen, mit der einen Hand musste er die Geschwindigkeit kontrollieren und mit der anderen das Flugzeug steuern. Er hatte buchstäblich alle Hände voll zu tun und konnte sich mit nichts anderem beschäftigen. So geht es einem, wenn man müde wird. Die Entscheidungsfähigkeit nimmt ab. Man übersieht Sachen, die man unter normalen Umständen sofort erkennen würde.«
Auf den Aufnahmen des Flugschreibers, der aus dem Wrack geborgen wurde, kann man hören, wie der Kapitän Caviedes während der letzten Stunde des Fluges immer wieder darum bittet, die Anweisungen der Flugsicherung ins Spanische zu übersetzen, so, als hätte er nicht mehr die Kraft, Englisch zu verstehen. Neun Mal bittet er um eine Wiederholung. »Sprechen Sie bitte lauter«, sagt er kurz vor dem Ende. »Ich höre Sie nicht.« Als die Maschine eine halbe Stunde lang südöstlich des Kennedy Airports kreiste und jeder im Cockpit genau wusste, dass der Treibstoff knapp wurde, hätte der Kapitän problemlos um eine Landeerlaubnis im nur 100 Kilometer entfernten Philadelphia bitten können. Während des ersten Anflugs meldete sich das Höhenwarnsystem insgesamt 15 Mal, um dem Kapitän mitzuteilen, dass die Maschine zu niedrig flog, doch der schien dies gar nicht zu registrieren. Als er durchstartete, hätte er eine kurze Wende fliegen müssen, doch er unterließ es. Er war erschöpft.
Und während all dem herrschte im Cockpit bleiernes Schweigen. Neben Caviedes saß der Erste Offizier Mauricio Klotz, doch auf dem Flugschreiber ist über lange Zeiträume hinweg nichts zu hören als Rascheln und das Geräusch der Motoren. Klotz war für |169| die Kommunikation mit der Flugsicherung zuständig, das heißt, er spielte in dieser Nacht eine entscheidende Rolle. Doch er verhielt sich merkwürdig passiv. Erst vor dem Einflug in die dritte Warteschleife südwestlich des Kennedy Airports teilte er der Flugsicherung mit, dass die Maschine nicht mehr genug Treibstoff habe, um einen anderen Flughafen
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