Ueberflieger
anzufliegen. Danach hörte die Mannschaft: »Stand by« und schließlich »Freigabe für den Kennedy Airport«. Ermittler vermuteten später, die Piloten seien offenbar davon ausgegangen, die Flugsicherung im Tower habe sie vorgezogen. In Wirklichkeit wurden sie lediglich hinter Dutzenden Flugzeugen in die Warteschlange eingereiht. Es war ein entscheidendes Missverständnis, das letztlich das Schicksal der Maschine besiegelte. Aber sprachen die Piloten das Thema noch einmal an? Baten sie den Tower um Klärung? Nein. Es sollten noch 38 Minuten vergehen, ehe sie den Treibstoff ein weiteres Mal thematisierten.
5.
Ratwatte versteht dieses Schweigen im Cockpit der Avianca-Maschine nicht. Und um mir zu erklären, warum, erzählt er mir, was ihm am Vormittag auf dem Flug von Dubai nach New York passiert ist. »Im hinteren Teil saß eine Frau. Wir nehmen an, dass sie einen Schlaganfall hatte. Sie hatte Krämpfe, hat sich übergeben. Es ging ihr richtig schlecht. Es war eine Dame aus Indien, ihre Tochter lebt in den Staaten. Ihr Mann sprach kein Englisch, kein Hindi, nur Punjabi. Niemand konnte sich mit ihm verständigen. Er sah aus, als sei er gerade aus einem Dorf im Punjab gekommen, und sie hatten kein Geld dabei. Wir waren über Moskau, als es passiert ist, aber ich wusste, dass ich unmöglich in Moskau landen konnte. Ich hatte keine Ahnung, was die in Moskau mit diesen Leuten machen würden. Also habe ich zum Ersten Offizier gesagt: ›Übernimm du. Wir müssen nach Helsinki.‹«
Ratwatte stand vor dem Problem, dass sie weniger als die halbe Strecke eines langen Fluges zurückgelegt hatten, was bedeutete, |170| dass sie mehr Treibstoff in den Tanks hatten als bei einer normalen Landung üblich. »Wir waren 60 Tonnen über dem maximalen Landegewicht. Also musste ich mich entscheiden. Ich hätte den Treibstoff ablassen können, aber den meisten Ländern gefällt es nicht, wenn man Treibstoff ablässt. Sie hätten mich auf die Ostsee rausgeschickt, ich hätte eine dreiviertel Stunde gebraucht, und die Frau wäre vermutlich gestorben. Also habe ich mich entschieden zu landen. Das war meine Entscheidung.«
Das bedeutete eine »schwere Landung«. Sie konnten das automatische Landesystem nicht verwenden, da es nicht auf die Steuerung derart schwerer Flugzeuge ausgerichtet ist.
»Also habe ich die Steuerung übernommen«, erzählt er weiter. »Ich musste sichergehen, dass das Flugzeug so weich aufsetzte wie möglich, sonst hätte die Struktur der Maschine Schaden nehmen können. Das wäre ein echtes Chaos gewesen. Die Maschine verhält sich außerdem anders, wenn sie schwer ist. Wenn Sie durchstarten müssen, bekommen Sie vermutlich nicht mehr genug Schub, um an Höhe zu gewinnen.
Es war ein hartes Stück Arbeit. Wir mussten uns um eine Menge Sachen gleichzeitig kümmern. Weil es ein Langstreckenflug war, hatten wir zwei zusätzliche Piloten an Bord. Ich habe sie aufgeweckt, und sie waren an allem beteiligt. Ich war noch nie in Helsinki gewesen. Ich hatte keine Ahnung, wo sich der Flughafen befand oder ob die Landebahn lang genug war. Ich musste eine Anflugroute finden, herausfinden, ob ich eine Landeerlaubnis bekam, die Leistungsparameter der Maschine ermitteln und der Fluggesellschaft mitteilen, was wir vorhatten. Ich hatte mit drei Leuten gleichzeitig zu tun – mit Dubai, mit den Leuten von MedLink, einer Ärzteagentur aus Arizona, und mit den zwei Ärzten, die sich hinten um die Dame gekümmert haben. Das ging 40 Minuten nonstop so.
Wir hatten Glück und in Helsinki war gutes Wetter. Ein Anflug bei schlechtem Wetter, plus ein schweres Flugzeug, plus ein unbekannter Flughafen, das wäre ein bisschen viel gewesen. Aber weil es Finnland war, ein Land der Ersten Welt, waren sie vorbereitet |171| und flexibel. Ich habe zu ihnen gesagt: ›Ich bin schwer, ich möchte gegen den Wind landen.‹ In so einer Situation müssen Sie gut bremsen. Aber die haben mir gesagt, kein Problem. Sie haben uns entgegen der normalen Richtung landen lassen. Wir sind über die Stadt eingeflogen, was sie normalerweise wegen der Lärmbelästigung nicht machen.«
Überlegen Sie, was alles von Ratwatte verlangt wurde. Er musste ein guter Pilot sein. Das ist eigentlich gar nicht der Erwähnung wert: Er benötigte die technische Erfahrung, um ein schweres Flugzeug zu landen. Aber alles andere, das Ratwatte für eine erfolgreiche Notlandung unternehmen musste, hatte nichts mit seinen Fliegerqualitäten im engeren Sinne zu tun.
Er musste das Risiko
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