Überm Rauschen: Roman (German Edition)
war voller Köder, die er an der Tapete befestigt hat, mit Anmerkungen auf Zettelchen, Gläser mit Getier, ich kann euch sagen, das hat vielleicht gestunken. Er hat mich noch beschuldigt, ich wolle ihm seine Köder wegnehmen. Zuletzt lag er nur noch im Bett, wollte nichts mehr essen, starrte an die Zimmerdecke, wo die Spiegelungen des Flusses schimmerten, und redete immer noch mit Magda. Wenn überhaupt, dann kam er erst spätabends runter, schenkte Schnaps aus, niemand musste bezahlen, er redete immer wieder von dem alten Fisch und von Dingen, bei denen ich mich schämen musste. Wenn alle weg waren, brachte ich ihn wieder nach oben, wo er lange auf dem Bettrand hocken blieb. Seit vier Tagen hat er nun schon sein Zimmer abgeschlossen und verbarrikadiert, seit vier Tagen.»
Während Alma erzählte, stand ich wieder am Küchenfenster und sah zur Brücke und den Arbeitern hinüber. Einer schnallte sich gerade einen Sicherungsgurt und den Strick, dessen Ende zur Absicherung an der Kupplung des Pritschenwagens verknotet wurde, um den Bauch. Er kletterte über das Brückengeländer und wurde von den Kollegen zum mittleren Strömungspfeiler heruntergelassen. Einen Moment lang schwebte er mit ausgebreiteten Armen, wie an einer Angelschnur hängend, dicht überm Fluss. Als er auf dem vorstehenden Brückenpfeiler Halt gefunden hatte, ließen sie Seil nach, und der Arbeiter kroch vom Plafond aus unter die Brücke, wo die Gasrohre und Stromkabel verlaufen.
Als Kinder hatten wir von der Brücke geangelt, dort, wo das um den Pfeiler strömende Wasser zusammenfloss, bildete sich eine ruhige Stelle. Wir mussten, da die Verwirbelungen des Oberflächenwassers die Beute nach unten drückten, auf Grund angeln, das Vorfach mit Blei beschweren. Eigentlich war es verboten, von der Brücke aus zu fischen. Wenn jemand kam, rannten wir weg, Sartorius verfolgte uns mehrmals durch den ganzen Ort. Wir versteckten uns in Scheunen und Kellern, und Sartorius tat so, als würde er uns weiter jagen, in Wirklichkeit war es ihm nicht ernst damit, er hatte nur Räuber und Gendarm mit uns gespielt.
Der Arbeiter holte einen Schraubenzieher aus seiner Brusttasche, stocherte und kratzte damit am Eisenträger, fing mit der Hand etwas Rost auf, den er in ein Tütchen steckte. Dann kroch er wieder unter der Brücke hervor, stieß dabei mit seinem Helm gegen einen Träger. Der Helm fiel in den Fluss, trieb wie ein kleines Boot auf den Wellen und wurde von der Strömung auf die Hauswand der Gaststätte zugetrieben, strich an der Mauer entlang, sodass man ihn vom Küchenfenster aus mit einem Besenstiel hätte herausfischen können. Während der Helm wieder zur Flussmitte auf den Rauschen zutrieb, berichtete Alma, wie man die Holländerin gefunden hatte. Der Fluss war noch zugefroren. Kinder hatten eine Rutschbahn aufs Eis geschlagen. Sie nahmen Anlauf, schlitterten von der Brücke auf das Wehr zu, kamen jedes Mal einige Meter weiter, bis ihre Rutschbahn kurz vor dem Rauschen endete, der aber zugefroren und still war. Nur die Geschicktesten waren von der Brücke bis zum Rauschen geglitten. Einer stolperte und rutschte bäuchlings auf das Wehr zu. Mit ausgebreiteten Armen blieb der Junge liegen, wischte übers Eis, erkannte unter dem Eis eine dicke Hand, die etwas zu halten schien. Es waren, wie sich später herausstellen sollte, Neunaugen, die sich an der Hand der Frau angesaugt und festgebissen hatten. Der alte Zehner, Salm und Knuppeglas liefen mit Sartorius aufs Eis. Sartorius kratzte mit der Stiefelhacke ein großes Geviert in den Schnee, sperrte die Stelle ab, schlug ein Loch ins Eis und verbot jedem, näher an das Loch heranzukommen. Er selbst hockte vor dem Loch, als das Gesicht der Frau zwischen den Eisstücken sichtbar wurde.
Am Abend standen Scheinwerfer auf der Brücke, die zum Rauschen hinüberleuchteten, und die Frau wurde aus dem Eisloch gezogen. Die Fundstelle, ein Geviert von fünf mal fünf Metern, war nun mit einem rotweißen Plastikband abgesperrt. In den nächsten Tagen taute es, die Eisenstangen sanken auf den Grund, das Band trieb auf das Wehr hinaus und blieb schließlich irgendwo flussabwärts im Ufergestrüpp hängen. Der Rauschen war wieder zu hören.
27
Ich trinke, werfe die leere Flasche in den Fluss, ihr Hals taucht nach einiger Zeit wieder auf und treibt langsam ab. Ich weiß nicht, ob ich weiterfischen soll, ob es überhaupt Sinn hat. Ich denke an Hermann, frage mich, was er jetzt wohl gerade macht. Gestern Abend haben sie ihn
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