Übersinnlich (5 Romane mit Patricia Vanhelsing) (German Edition)
Mundwinkel. Sein Gesicht war so totenblass wie das aller anderen.
"Oh, eine zweite Georges Sand", stellte er lächelnd fest. Er wandte sich an mich. "Es kann gar nicht anders sein, als dass Sie sich diese Männerkleider tragende und unter einem Männernamen schreibende Schriftstellerin zum Vorbild genommen haben..."
Lady Mary verzog das Gesicht und meinte: "Durch Ihre Arbeit bei der Zeitung sind Sie über den Klatsch vom Kontinent sicher besser informiert als wir!" Ich wollte etwas erwidern, aber der Butler kam mir zuvor.
"Bitte setzen Sie sich", sagte er. "Sie, Lord Millroy, wollen bitte dort Platz nehmen!" Bei diesen Worten deutete der Butler auf einen freien Stuhl mit hoher Lehne, der sich neben Lady Marys Platz befand. "Und Sie, Miss Vanhelsing..." Ein Muskel zuckte im Gesicht des Butlers. "Mr. Radvanyi wird Ihnen sicher ein charmanter Gesprächspartner sein."
Mir gefiel es nicht, dass Lady Mary uns durch ihre Sitzordnung trennte. Dahinter stand natürlich eine klare Absicht. Tom drückte meine Hand und lächelte matt. Ich erwiderte den Blick seiner grüngrauen Augen. Nichts wünschte ich mir so sehr, als aus diesem furchtbaren Alptraum endlich zu erwachen.
Wir setzten uns.
Der Butler schenkte mir den Tee ein. Die Tasse aus chinesischem Porzellan war hauchdünn. Beinahe durchsichtig. Der Tee schmeckte allerdings sehr fade.
Ham and Eggs wurde vom Butler serviert. Aber alles war geschmacklos und hatte auch keine wirklich sättigende Wirkung. Es war wie bei dem geisterhaften Kaminfeuer, dass
einfach nicht in der Lage gewesen war, etwas Wärme zu spenden.
Dostan Radvanyi wandte sich an mich.
"Ihre Kleidung steht Ihnen gut, Miss Vanhelsing. Ich wollte Sie keineswegs mit meiner Bemerkung beleidigen."
"Das haben Sie auch nicht."
"Ist das Ihr besonderer - Stil?"
"Nein, Mr. Radvanyi. Ich habe einfach nur etwas gesucht, was warm und praktisch ist."
"Nun, wie auch immer. Ich habe eine Vorliebe für das Außergewöhnliche. Wussten Sie das?"
"Nun, Sie sind ein Künstler."
"Und denen verzeiht man einen exzentrischen Geschmack. Meinen Sie das?"
"Ist es nicht so?"
"Vielleicht haben Sie recht." Radvanyi lächelte. "Worin besteht Ihre Kunst, Miss Vanhelsing?"
"Ich fürchte, da muss ich sie enttäuschen..." Ich blickte an ihm vorbei, schräg über die Tafel und versuchte etwas von dem Gespräch mitzubekommen, das Tom in der Zwischenzeit mit Lady Mary führte.
"Ich bin so froh, dass du hier bist, Tom!" Marys zunächst etwas verhärtete Gesichtszüge wurden weicher. Ein Lächeln umspielte ihre schmalen, farblosen Lippen. Ein Hauch von Melancholie spiegelte sich in ihren Augen. "Du wirst mit der Zeit erkennen, dass du derselbe geblieben bist - auch über den Abgrund des Todes hinweg. Ich habe dich lange gesucht, Tom... Du weißt gar nicht, wie lange."
"Du sprichst von Dingen, die vergangen sind, Mary..."
"Meine Gefühle für dich sind Gegenwart, Tom! Die Leidenschaft, die nie aufgehört hat, in mir wie ein heißes Feuer zu brennen..."
"Für mich ist es Vergangenheit", beharrte Tom. "Erinnerungen aus einem anderen Leben, nicht mehr. Bilder, die sich mit so vielen anderen zu einer Geschichte anordnen, von der ich manchmal nicht sicher bin, ob es nicht doch ein Fremder war, der sie erlebt hat."
"Du empfindest wirklich nichts mehr für mich?" Sie schüttelte den Kopf. "Das kann nicht sein. Deine Gefühle werden zurückkehren. Du warst einmal Lord Millroy. Warum solltest du es nicht wieder werden?"
"Man kann das Rad der Zeit nicht zurückdrehen. Zu viel ist inzwischen geschehen...."
"Oh, doch, man kann dieses Rad, von dem du sprichst, sehr wohl zurückdrehen, Tom!" Ihre Stimme bekam einen schrillen Unterton. In ihren Augen blitzte es wieder unruhig auf. Ihre Hände krampften sich zusammen.
Ich griff mir unwillkürlich an die Schläfen.
Es pochte dort wie wild.
Ich spürte ihre Kraft.
Hoffentlich kann sie sie auch kontrollieren, ging es mir durch den Kopf, während mich Schwindel erfasste. Mir schauderte vor den gewaltigen Energien, über die diese Frau gebieten musste. Sie war sehr stark... Und vermutlich hatten wir von ihrer wahren Macht bislang noch gar keinen wirklichen Begriff.
Wieder herrschte Totenstille am Tisch.
Auch Dostan Radvanyi, der zuvor unaufhörlich auf mich eingeredet hatte, schwieg jetzt. Er saß mit starrem Gesicht da, genau wie die anderen Gäste. Wie Wachsfiguren wirkten sie. Der Blick war tot, die Haut wie Pergament. Kein Augenlid bewegte sich. Kein Atemzug war zu hören.
Es war
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